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17.10.2012

Schweizer Firmen auf Einkaufstour in Deutschland

Tegut, Ditsch und Co

Das "Schlaraffenland" beginnt für Schweizer gleich hinter der nördlichen Grenze. In Euro-Deutschland bekommen sie mit ihrem superstarken Franken fast alles deutlich billiger als zu Hause. Zehntausende Eidgenossen erledigen ihre Einkäufe in grenznahen Supermärkten zwischen Weil am Rhein und Konstanz. Andere kaufen bei den Deutschen gleich ganze Supermärkte: Fast 300 Filialen der Fuldaer Tegut-Kette wurden vom Einzelhandelsriesen Migros übernommen.

awp international. Der Deal ist kein Einzelfall: Der Mainzer Brezelbäcker Ditsch mit Verkaufsstellen in Bahnhöfen, Einkaufszentren und Fussgängerzonen soll an die Valora-Gruppe verkauft werden. Beim Ökomoden- Hersteller Hess Natur aus dem mittelhessischen Butzbach hat seit diesem Juni der Finanzinvestor Capvis das Sagen.

"Der Franken ist ausserordentlich stark, das macht es für schweizerische Unternehmen günstig, in Deutschland einzukaufen. Dazu kommt: Deutschland ist im Euroraum der sichere Hafen", erklärt Deutsche-Bank-Währungsexperte Thomas Meyer. "Je grösser die Sorge um den Euro, desto stärker die Flucht in den Franken. Dazu kam bis zur Einführung des Mindestkurses durch die Schweizer Nationalbank noch die Spekulation auf eine weitere Aufwertung des Franken."

Die "Neue Zürcher Zeitung" schätzt den Preis für die Tegut-Übernahme auf bis zu 300 Millionen Schweizer Franken. Vor nicht allzu langer Zeit hätte Migros die florierende deutsche Supermarktkette, die stark auf Bio setzt, dafür kaum erwerben können. Noch vor fünf Jahren – am 1. Oktober 2007 – waren 300 Millionen Franken auf den Devisenmärkten lediglich 180 Millionen Euro wert. Heute sind es fast 250 Millionen Euro. Für Schweizer ist der "grosse Kanton", wie sie Deutschland nennen, dank Euro-Schuldenkrise zum Billigland geworden.

Am Bodensee und am Hochrhein hat die enge Verflechtung der Schweizer mit der deutschen Wirtschaft lange Tradition. Schon Ende des 19. Jahrhunderts bauten Schweizer Unternehmer Fabriken im grenznahen deutschen Raum auf. Aus einer kleinen Abfüllhalle von Julius Maggi in Singen wurde bald die erste grosse deutsche Maggi-Fabrik, die noch heute – im Besitz von Nestlé – produziert.

Ein Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bodensee-Hochrhein berichtet von Schätzungen, nach denen in Industriebetrieben im Grenzraum rund 70 Prozent des Kapitals aus der Schweiz kommt. Auch Immobilienmakler freuen sich über die Franken-Stärke: Vor allem 2011 erwarben Schweizer Häuser und Wohnungen in Deutschland. Er wisse von einem Makler, der in kurzer Zeit 34 Objekte an Schweizer verkaufte, sagt der IHK-Sprecher: "Der Markt ist heute praktisch leer gefegt."

Die Schweizer Einkaufstour stösst nicht überall auf Gegenliebe. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Tegut-Übernahme erinnerten die Gewerkschaften auf beiden Seiten der deutsch-schweizerischen Grenze den Handelsriesen Migros an bestehende Tarifverträge in Deutschland. Bei Hess Natur ging die von Kunden und Beschäftigten getragene Genossenschaft HNGeno auf Konfrontationskurs zum neuen Eigner. Hartnäckig hielt sich die Befürchtung, das Image des Ökomoden- Herstellers könnte leiden, wenn ein Finanzinvestor einsteigt.

Migros, Valora und Capvis ihrerseits verstehen die Stärke der heimischen Währung als Chance zur Expansion in der Eurozone – vor allem in Deutschland. Dabei macht es Marktführer Migros nicht anders als die Konkurrenz. So übernahm Coop 2010 den im hessischen Neu-Isenburg ansässigen Gastronomie-Grosshändler Transgourmet vollständig von der Rewe-Gruppe.

Auch die Schweizer Nationalbank (SNB) hat den Euroraum im Visier – wenngleich mit anderem Ziel. Die Notenbank kaufte in den vergangenen Monaten massiv Euros, um den Wechselkurs nicht unter 1.20 Franken sinken zu lassen. Der SNB-Eingriff an den Devisenmärkten schützt die zu hohen Kosten produzierende heimische Exportwirtschaft vor einem weiteren Anstieg des Franken und einer damit einhergehenden Verteuerung ihrer Produkte im Euroraum.

Die SNB-Währungsreserven nahmen von 246 Milliarden Franken im April auf 437 Milliarden im September zu. "Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat die Schweiz inzwischen ein dickeres Polster an Währungsreserven als China", schreibt die Deutsche Bank. Die Euros der Nationalbank schmoren freilich nicht als Cash in Berner Bunkern. Sie werden wieder angelegt: oft in deutschen Staatsanleihen.

Autoren: Jörn Bender, Thomas Burmeister und Frank Heidmann / dpa


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