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26.02.2017

Auf dem Weg zum Milliardenmarkt

Lieferdienste boomen

Surfen, klicken, essen: Lieferdienste bringen Restaurantgerichte zu Hungrigen nach Hause. Es gibt Gastronomen, die gute Erfahrungen mit diesem neuen Absatzkanal machen. Andere verzichten bewusst darauf, um die Qualität im eigenen Betrieb nicht zu gefährden.

Es gibt nur wenig verlässliche Zahlen zum Liefermarkt in der Schweiz. Eine Studie der Serviceplattform Eat.ch beziffert den Umsatz auf 985 Millionen Franken pro Jahr. Stimmt diese Zahl, so würde jeder der 3.7 Millionen Haushalte in der Schweiz pro Woche gut 5 Franken für nach Hause oder ins Büro gelieferte Speisen und Getränke ausgeben.

Aus den USA ist bekannt, dass sich alleine der Pizza-Delivery-Markt auf 10 Milliarden Dollar beläuft. Da Pizza zwar mit Abstand das meistbestellte Gericht ist, sehr viele andere Speisen wie Sandwiches, Chicken Wings, Sushi, chinesisches und mexikanisches Essen aber ebenfalls beliebte Lieferartikel sind, ist der gesamt Delivery-Markt wohl doppelt so gross. Pro Woche bestellt also jeder der 125 Millionen US-Haushalte Speisen und Getränke für gut 3 Dollar.

Zwar erreicht bei uns die Bestellhäufigkeit kaum amerikanische Werte, doch dürfte der Durchschnittsbon wegen der stark unterschiedlichen Preise und der hohen Kaufkraft viel höher sein. Der von Eat.ch geschätzte Betrag von über 5 Franken pro Haushalt und Woche ist zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Pizza vor Döner und asiatischem Essen

Auch in der Schweiz ist Pizza klar das meistbestellte Produkt. Dahinter kommen Döner, chinesische und thailändische Speisen. Heimische Spezialitäten eignen sich zwar oft nicht besonders für Lieferungen, weil ihre Qualität in den geschlossenen Verpackungen während der Transportzeit zu stark leidet. Dennoch geben 10 Prozent der Teilnehmer an der Eat-Umfrage an, bei ihrer letzten Bestellung traditionelle Gerichte wie Cordon bleu, Rösti oder Wurstsalat geordert zu haben.

Das grösste Wachstum ist jedoch bei «gesundem» Essen zu verzeichnen: Konsumentinnen und Konsumenten lassen sich zunehmend Salate, Suppen, Wraps und Sushi nach Hause oder ins Büro liefern. Fast die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer über 18 Jahre hat gemäss Umfrage bereits Essen per Heimlieferdienst geordert. Der Bestellwert für die durchschnittlich 2.3 Portionen beläuft sich im Mittel auf knapp 34 Franken.

Für Mohammed Khan vom Restaurant Bayleaf am Spalenring sind Haus- und Bürolieferungen ein wichtiger Distributionskanal. Der Familienbetrieb bietet gehobene indische Küche an und verfügt über einen eigenen Bringdienst, arbeitet jedoch auch mit Eat.ch und der lokalen Plattform Velogourmet.ch zusammen. «Die Erfahrungen sind gut», so Khan, «pro Tag erhalten wir mehrere Bestellungen». Der zusätzliche Vertriebskanal helfe auch, seinen relativ neuen Betrieb bekannt zu machen: «Es geht uns nicht nur um die Zusatzumsätze, sondern auch um Marketing».

Während erste Lieferdienste in der Schweiz schon in den 1980er Jahren auftauchten, ist das Vermittlungsgeschäft erst später und begünstigt durch das Internet entstanden. Velogourmet gehört hier zu den Pionieren: Bereits seit 2005 bietet die Basler Firma Vermarktungs- und Logistikdienstleistungen für Gaststätten an. Im Gegensatz zu den grossen, national und sogar international tätigen Portalen konzentrieren sich die Inhaber Joost und Karola Oerlemans auf das lokale Geschäft.

Partnerbetriebe werden sorgfältig ausgesucht und individuell betreut. «Wir streben eine enge Zusammenarbeit mit den Restaurants an», sagt Karola Oerlemans. «Ziel ist eine Win-Win-Situation, bei der alle Beteiligten profitieren – die Gastronomen, die Kunden und wir mit unseren Mitarbeitern.» Velogourmet bringt es auf über 3000 Lieferungen pro Monat.

«Wer exklusiv mit uns zusammenarbeitet, erhält alle relevanten Kundendaten für sein eigenes Marketing», so Oerlemans. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn meist sehen Gastronomen nur den Namen und die Telefonnummer des Kunden, falls es Rückfragen gibt. Oerlemans sieht sich auch in einer beratenden Funktion: «Wir besprechen mit den Wirten, welche Uhrzeiten und Artikel sich für Lieferungen eignen.» Das Sortiment werde dabei regelmässig auf «Renner und Penner» analysiert. Getränke können die Wirte selber anbieten. Das ist nicht bei allen Portalen so.

Wie der Name andeutet, erfolgen die Lieferungen bei Velogourmet vorwiegend mit Fahrradkurieren. Insgesamt werden vierzig Fahrer mit Teilzeitpensen beschäftigt – meist handelt es sich um fitte Studentinnen und Studenten, die spezielle, mikrowellentaugliche Einwegbehälter in Thermotaschen transportieren. In den Rucksäcken gibt es auch ein Abteil für gekühlte Produkte wie Sushi, Sandwiches, Desserts oder Getränke.

Strohhalm für existenzgefährdete Betriebe?

Lieferdienste wie Eat.ch, Foodarena, Lieferdienst.ch oder Velogourmet finanzieren sich unter anderem durch Servicepauschalen von vier bis sechs Franken, die sie bei den Kunden erheben. Der Hauptteil der Einnahmen stammt von den Partner-Restaurants: Zwar verlangen die Vermittler in der Regel keinen Grundbetrag für die Online-Listung, doch bei Verkäufen fallen happige Provisionen von rund 30 Prozent an, pro Lieferung also durchschnittlich über 10 Franken.

Angesichts der knappen Margen im Gastgewerbe ist das viel. Ein Brancheninsider, der nicht genannt werden will, bezeichnet Lieferportale denn auch als «Strohhalm für existenzgefährdete Betriebe.» Die Rechnung für die Wirte geht jedenfalls nur auf, solange keine zusätzlichen Personalkosten entstehen und sie die Umsätze als Zusatzverkäufe betrachten, die sie aus eigener Kraft nicht hätten generieren können.

Erzielt ein Lokal pro Tag 300 Franken Lieferumsatz, ohne selbst einen besonderen Aufwand zu betreiben, verbleiben nach Abzug von Mehrwertsteuer, Provision und Warenkosten höchstens 100 Franken Deckungsbeitrag an die Fixkosten. Bei einem Betrieb mit Fünf-Tage-Woche sind das rund 2000 Franken pro Monat an die Miete und die Abschreibungen. Das ist für manche Gastronomen an weniger guten Standorten verlockend, jedoch nicht die Rettung, wenn es im Lokal zu wenig läuft.

Die Präsenz auf den Portalen bringt unter idealen Bedingungen zusätzliche Gäste ins Restaurant. Wer mit dem gelieferten Essen zufrieden war, wird manchmal zum Gast. Umgekehrt sind es manchmal Restaurantgäste, die sich zur Abwechslung etwas liefern lassen. Wie gut das in der Praxis funktioniert, ist umstritten.

Gemäss Karola Oerlemans von Velogourmet.ch bestellen vor allem Leute, die ein eher hohes frei verfügbares Einkommen haben. Besonders fleissig ordern Expats: «Etwa ein Viertel der Bestellungen erfolgt bei uns auf Englisch», so Oerlemans. Auch viele ältere Leute zählen zu den Stammkunden. «Das hat vielleicht damit zu tun, dass wir zu den sehr wenigen Plattformen gehören, die telefonischen Kontakt und Barzahlung ermöglichen – und nicht nur Online-Bestellungen mit Kreditkarten».

Krieg der Lieferportale

Der Auslieferungsmarkt ist erbittert umkämpft. Zum einen gibt es in der Region Basel Dutzende von Betrieben, die auf eigene Rechnung liefern. Darunter sind bekannte Namen wie Domino’s, Vapiano, Dieci und Pizza-Blitz. Daneben tummeln sich einige Vermittlungsplattformen, die nicht selber produzieren, sondern für Vertragsrestaurants ausliefern.

Grundsätzlich ist das eine vernünftige Arbeitsteilung, denn viele Gastronomen bereiten zwar gutes Essen zu, verstehen aber nichts vom Liefergeschäft, welches vor allem auf guter Logistik und professionellem Marketing beruht. Ein Nachteil sind neben den hohen Provisionen die etwas längeren Lieferzeiten, die sich nicht selten auf eine Stunde belaufen. Diesen Wert unterbieten professionelle Lieferdienste mit eigener Produktion deutlich.

Dennoch ziehen die Bestellportale mit ihren hohen Werbebudgets immer mehr Geschäft an sich. Sie haben mittlerweile einen Anteil von 45% am gesamten Liefermarkt. Auch wenn die Gastronomen weit davon entfernt sind, in eine ähnliche Abhängigkeit von Buchungsplattformen zu geraten wie die Hoteliers, könnten sie bald dominanten Anbietern gegenüberstehen.

In Deutschland bekriegen sich die beiden Branchenriesen Deliveroo und Foodora. Beide Anbieter verbrennen zweistellige Millionenbeträge für Marketingkampagnen. Die Investoren gehen davon aus, dass sich langfristig einer der grossen Player durchsetzen und dann viel Geld verdienen wird («winner takes it all»). Für Restaurants, die stark auf Lieferungen setzen, könnte das problematisch werden.

Der Ausgang ist allerdings noch offen. Konzerne wie Amazon oder Uber machen sich daran, neue Märkte zu erobern. Deren Know-How und Marktmacht im e-Commerce werden das Geschäft weiter umwälzen. Der harte Wettbewerb könnte dazu führen, dass sich die Arbeitsbedingungen der Fahrer verschlechtern und die Abhängigkeiten der Vertragsrestaurants steigen.

Anna Götenstedt, Pächterin in der Restauration zur Harmonie, verzichtet bewusst auf Lieferungen und setzt lieber «altmodisch auf persönliche Kontakte», wie sie sagt. Leute aus dem Quartier oder Gäste von nahegelegenen Hotels kommen manchmal Essen holen. «Bei Nachbarn servieren wir auch Take-Away in normalen Tellern», so Götenstedt, «sie bringen bei Gelegenheit alles zurück.»

«Wir nehmen nicht teil, weil die Qualität bei der Lieferung stark leidet», sagt Rolf Maria Schmitz, Verwaltungsratspräsident der Odemus Gastronomie AG, die Lizenznehmerin von Block House in der Schweiz ist. Er führt aus: «Verwechslungen von Beilagen oder Garstufen lassen sich nicht korrigieren, die Speisen können nicht überzeugend schnell zum Konsumenten gebracht werden.»

Der Verzicht auf das Liefergeschäft hat auch mit dem Sortiment von Block House zu tun. «Ein Steak, das erst zum Kunden gelangt, nachdem der Fahrer zuvor noch ein halbes Dutzend andere Kunden beliefert, ist nicht mehr heiss. Die Qualität wäre lange nicht so, wie man sie bei uns im Restaurant geniessen kann.»

Schmitz fragt sich zudem, wie bei 30 bis 40 Prozent Provision die Rechnung aufgehen soll: «Betriebe mit margenstarken Artikeln wie Pizza oder Reisgerichten können vielleicht profitieren. Mit unseren Fleischmenus geht das nicht.»

Die Gastronomiegruppe Parterre Basel hat in der Vergangenheit immer wieder Projekte geprüft, um die Kunden auch zuhause oder am Arbeitsplatz zu bedienen, bisher aber auf diesen Schritt verzichtet. «Die logistischen Voraussetzungen entsprechen nicht unseren Anforderungen an die Frische und Qualität der Speisen», begründet Geschäftsleitungsmitglied Niggi Daniel Rechsteiner. Ganz aufgegeben hat Parterre die Idee noch nicht. «Die Heimlieferung – auch von hochwertigen Gerichten – entspricht einem Trend. Ich sehe ein wachsendes Volumen für Angebote, die sich von Pizza und dergleichen abheben», so Rechsteiner.

Ein Ende des Bestellbooms ist auf jeden Fall nicht in Sicht. Selbst McDonald’s oder Burger King experimentieren mit Lieferungen. Der Trend ist Teil eines breiten kulturellen Wandels: Für kommende Generationen ist es selbstverständlich, sich jederzeit alles an die Haustür liefern zu lassen.

Die Digitalisierung ist auf unseren Tellern angelangt. Ob sich am Schluss tatsächlich die Lieferplattformen durchsetzen, steht in den Sternen. In Paris macht gerade «FoodChéri» von sich reden: Das Lieferunternehmen hat eine eigene Produktion und ist profitabel, weil es die Marge des Restaurateurs mitverdient.

Auch bei uns gibt es Gastronomen, die sich entschieden haben, selber zu liefern, um die hohen Provisionszahlungen zu vermeiden und die Qualität entlang der ganzen Dienstleistungskette im Griff zu behalten.

Selber professionell zu liefern, ist allerdings gar nicht so einfach. Abgesehen von logistischen Herausforderungen muss mit der technischen Entwicklung Schritt gehalten werden. Die Website hat stets auf dem neuesten Stand zu sein, auch für mobile Geräte. Apps sind ein Thema. Und schliesslich braucht es gewaltige Marketinganstrengungen, um genügend Bestellungen zu generieren. Konkret bedeutet das: Regelmässiges Verteilen von Flyers im Liefergebiet, Online-Marketing und bei grösseren Anbietern auch Plakatwerbung bis hin zu Fernsehreklame.

Als Geschäftsmodell werden sich vermutlich vermehrt auch «Ghost Restaurants» etablieren. In den USA gibt es bereits viele virtuelle Gastronomiekonzepte, die gänzlich ohne Gastraum auskommen. So betreibt die Green Summit Group über New York verteilt mehrere Küchen mit insgesamt 50 Köchen. Unter der Marke «Blue Crown Wings» wird Poulet angeboten, «Maya Blue» steht für mexikanisches Essen und «Butcher Block» setzt auf Sandwiches. Im Angebot stehen 11 weitere Marken – alles kommt aus der gleichen Küche und wird ausschliesslich über Food-Delivery-Apps vertrieben.

Zusatzumsatz durch Hauslieferungen: Die Meinungen gehen auseinander. Bild: Restaurant Bayleaf


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