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24.07.2017

Wirtschaftsfaktor Absinth

Die grüne Fee verleiht Tourismus im Val-de-Travers Schwung

Die Maison de l'Absinthe in Môtiers lockt jährlich 12'000 Touristen ins abgelegene Val-de-Travers im Neuenburger Jura. Die "grüne Fee" ist ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden.

sda. Wenn der Vater von Yann Klauser, dem heutigen Direktor der Maison de l'Absinthe, von Zeit zu Zeit einen Freund anrief und zwölf Lapins bestellte, wunderte sich der Kleine: Warum zwölf Kaninchen, wenn sie hinter dem Haus schon einen Stall davon hatten?

Als der Sohn älter war, weihte ihn sein Vater ins Geheimnis des Schwarzbrennens und die Kulturgeschichte der geheimnisvollen, verbotenen Spirituose ein. Er erfuhr, dass mit einem Lapin eine Flasche Absinth gemeint war. Und wenn ein Erwachsener in einem Bistrot eine Ovomaltine bestellte, wusste das Servicepersonal sofort Bescheid. Es holte eine Flasche aus einem Versteck hervor und bereitete hinter der Theke einen Absinth zu. Das verbotene Getränk wurde in einem Ovobecher gereicht, weil dieser undurchsichtig war.

Nicht Eingeweihte wussten nicht, was da im Verbotenen gekostet wurde. Nach Feierabend kam manchmal sogar der Dorfpolizist im Gasthaus vorbei, um eine "Ovomaltine" zu geniessen.

Bitteres Heilelixier

Der Absinth besteht hauptsächlich aus der grünlichen Wermut-Pflanze sowie zwischen zehn und 15 weiteren Kräutern und wird mit Wasser verdünnt. So erhält die Spirituose ihre milchigweisse bis grünliche Farbe, weshalb sie auch "grüne Fee" (fée verte) genannt wird.

Erfunden wurde der Absinth in Couvet (NE), wo der aus Preussen geflohene französische Arzt Pierre Ordinaire praktizierte. Er brachte ein Heilelixier mit, das gegen Rheumatismus, Magenbeschwerden, Wurmbefall, Menstruationsbeschwerden und vieles mehr half.

1767 kam das Elixier einer Kräuterfrau aus der Gegend in die Hände, die das Gebräu zu einem alkoholischen Getränk destillierte. Diese "Mutter Henriod" soll die Urheberin des Originalrezepts sein. Damals dürfte der Absinth noch sehr bitter gewesen sein, weiss Klauser.

Pernod produzierte in Frankreich

Erst als die Frauen begonnen hätten, Absinth zu trinken, seien die Rezepte wohlschmeckender geworden. Sie seien mit Zucker versüsst und weiteren, im Tal wachsenden Kräutern verfeinert worden.

Das Originalrezept wurde 1797 unter anderem vom Schweizer Henri Louis Pernod erworben, der eine Absinth-Brennerei gründete. Anfänglich wurden nur 16 Liter pro Tag produziert. Mit dem zunehmenden Absatz in Frankreich verlegte Pernod die Produktion ins französische Pontarlier. So konnte er die Zölle und Zollformalitäten umgehen. Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs produzierte Pernod 19'000 bis 25'000 Liter Absinth pro Tag.

In den Pariser Cafés bekannt gemacht wurde das Getränk unter anderem durch Soldaten, die aus dem Algerien-Krieg heimkehrten. Diese erhielten tägliche Absinthrationen, weil die Militärärzte glaubten, damit Epidemien eindämmen zu können.

Grüne Fee inspirierte Künstler

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Absinth bei Künstlern chic. Der Dichter Arthur Rimbaud besang die grüne Fee wie eine verführerische, schöne Frau. Auch Maler wie Edouard Manet, Henri Toulouse-Lautrec, Edgar Degas und Vincent Van Gogh gesellten sich zur sogenannten "grünen Stunde" zwischen 17 und 19 Uhr zu den geselligen Absinthrunden und liessen sich berauschen und inspirieren.

Absinth war lange Zeit günstiger als Bier und Wein, weiss Klauser. Der Alkoholismus wurde zunehmend zu einem Problem. Es gab Arbeiter, die ihren Wochenlohn umgehend in den Bars versoffen und ohne einen Rappen zu ihren Familien heimkehrten.

Angebetet von Künstlern der Belle Epoque, wurde die Spirituose von Ärzten und Anti-Alkoholikervereinigungen zunehmend verteufelt und bekämpft. Es ging das Gespenst des Absinthismus um, der zu Übererregbarkeit und Halluzinationen führe, wie es hiess.

Mordfall führte zu Verbot

Auslöser für das Absinth-Verbot in ganz Europa und den USA war ein Mordfall im August 1905 in der Waadtländischen Gemeinde Commugny. Der Familienvater Jean Lanfray tötete in einem Anfall von Wut seine schwangere Frau sowie seine zwei- und vierjährigen Töchter. Dass er an diesem Tag neben zwei Gläsern Absinth auch Unmengen von Wein und Branntwein konsumiert hatte, wurde in den Medien mehr oder weniger unterschlagen. Der Vorfall wurde in vielen Ländern zum Anlass genommen, die Herstellung und den Verkauf von Absinth zu verbieten.

In der Schweiz trat das Absinth-Verbot aufgrund einer eidgenössischen Volksinitiative am 7. Oktober 1910 in Kraft und währte 95 Jahre lang. In der Zeit der Prohibition entstand das Anis-Getränk Pastis, das ohne Wermut hergestellt wird.

Brennereien im Untergrund

Das Val-de-Travers litt wirtschaftlich unter dem Verbot, aber die Einwohnerinnen und Einwohner liessen sich nicht einschüchtern. Die Brennereien wurden in den Untergrund verlegt, und die Menschen, die illegal Absinth herstellten und schmuggelten, sahen sich nicht als gewöhnliche Delinquenten, sondern als Widerstandskämpfer.

Für eine Flasche Absinth wurden in Zürich gut und gerne 400 Franken bezahlt, erzählt die Tochter des Destillateurs Willy Bovet in Môtiers. In diesem Familienbetrieb können Touristen verschiedene Sorten von Absinth degustieren und kaufen. Jeder Produzent hat selbstverständlich sein Geheimrezept. Allgemein bekannt ist, dass neben dem Hauptbestandteil Wermut fast immer Anis, Fenchel, Melisse, Minze und Eisenkraut mit dabei sind.

30 Produzenten

Seit der Legalisierung des Absinths am 1. März 2005 haben sich im Val-de-Travers wieder etwa 30 Brennereien etabliert. Sie produzieren gesamthaft 160'000 Liter Absinth pro Jahr. Die meisten Destillateure können entlang der Route de l'Absinthe besichtigt werden.

Die Route de l'Absinthe führt von Pontarlier quer durchs Val-de-Travers und ist ein Gemeinschaftsprojekt der Franzosen und der Schweiz. Die Strasse soll ebenfalls zum touristischen Aufschwung der Region beitragen. Die Maison de l'Absinthe liegt auf dieser Route und ist das Ziel der meisten Touristen.

Viele Besucher aus der Deutschschweiz

Seit der Eröffnung am 3. Juli 2014 haben bereits 36'000 Touristinnen und Touristen das Zentrum besucht. Damit seien die Erwartungen um 20 Prozent übertroffen worden, freut sich Klauser.

Zuerst seien vor allem Leute aus der Region gekommen, mittlerweile stammten 70 Prozent der Besucher aus der Deutschschweiz. Aber auch Franzosen, Holländer, Belgier und sogar Amerikaner finden den Weg ins Museum. 98 Prozent sind Tagestouristen.

Schön wäre es, wenn die Besucher länger bleiben würden, meint die Serviertochter eines Gasthauses. Das Angebot an Hotels und Restaurants sei in ihren Augen momentan zu klein.

Bettina Mader / sda

Maison de l'Absinth. Bild: swiss-image.ch / André Meier


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