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07.09.2018
Sinnloser Kulturkampf
Tourismus und Massentourismus
Mit dem Anwachsen der Touristenströme hat eine ebenso alte wie unsinnige Diskussion neuen Auftrieb erhalten. Ein Abwehrversuch.
Man habe den Plan, die Rigi «in ein Disney World für über eine Million Touristen jährlich umzubauen», erschallte letztes Jahr ein Aufschrei in der Zentralschweiz – und ein Heer von Wohlmeinenden unterzeichnete eine Petition, die den Frevel verhindern will.
Die Kritik zielte auch auf Stefan Otz. Dabei war der langjährige Tourismusmanager Interlakens 2016 auch deshalb als CEO zu den Rigi Bahnen geholt worden, um den Berg zu entwickeln. Mit solch schrillem Widerstand gegen die aus touristischer Sicht bescheidenen, aus logistischer Sicht unverzichtbaren Pläne an der Rigi hatte Otz nicht gerechnet: «Es war für mich überraschend, zu erfahren, wie wenig der Tourismus hier, wo er doch seine Wurzeln hat, grundsätzlich gilt», sagte er kürzlich in GastroJournal.
Natürlich kann man da in guten Treuen unterschiedlicher Meinung sein. Allerdings sind die Kriterien da in Sachen Tourismus in der Regel ästhetischer Natur. Es geht also um Grundhaltungen und Glaubensfragen, die man nicht diskutieren kann: ein klassischer Kulturkampf.
Die Diskussionen sind so fruchtlos wie alt: Die Welt sei von Reisenden mit «grausamer Geissel geschlagen», stand 1848 in einem britischen Magazin zu lesen: «Sie haben Europa mit Touristen überzogen.» Und eine Generation später höhnte der Franzose Joseph Arthur de Gobineau über «Herdenvieh-Reisende, die die Mode jedes Jahr aus ihren Gehegen aufscheucht».
Um konstruktiv zu werden und Konsens oder Kompromisse zu finden, helfen Ebenenwechsel: Zuerst gilt es, darüber zu diskutieren, ob und inwiefern Tourismus überhaupt sinnvoll ist. Diese Diskussion ist nicht ästhetischer Art und darum möglich. Und sie gründet tiefer, als es den Anschein haben mag. Es geht dabei nämlich nicht vorab um saubere Landschaften, saubere Luft oder saubere Toiletten, nicht nur um Stau am Wochenende, Stau an der Kasse oder Stau am Flughafen. Vorgelagert ist vielmehr die ökonomische und soziale Frage: Ist Tourismus gut für die Menschen und wirtschaftlich wertvoll?
In guten Treuen kann man auch darüber unterschiedlicher Meinung sein: Ist es gut und bereichernd, fremde Länder und Kulturen zu erleben? Sind das nicht nur noch Inszenierungen, die den Touristen das vorgaukeln, was sie suchen, weil sie es in Wahrheit zerstören, sobald sie es besuchen?
Wenn keine Einigkeit über die Sinnhaftigkeit von Tourismus zu erzielen ist, kann man die Diskussion abbrechen und den Tourismus sich selber überlassen. Steht man hingegen grundsätzlich hinter Tourismus, und die politische Schweiz gibt dies vor, gilt es, die Ebene wieder zu wechseln und über sinnvolle Organisation zu sprechen.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass der alpine Tourismus unter Druck entstanden ist. Da waren weder Innovation noch Marketing, sondern wunderliche Reiseabenteurer, die verwunderten Einheimischen begegneten. Hier wie dort herrschte Staunen über das Fremde, und die Bergler machten eher widerwillig ein Geschäft daraus. Das ist verständlich in den Alpen mit ihrer stolzen, republikanischen Bevölkerung, die niemandes Diener sein will. Das klingt nach.
Die Aufgaben der Personenhydraulik und des Yieldens anpacken
Insofern eine Volkswirtschaft Tourismus grundsätzlich will, und beim aktuellen Volkswirtschaftsdepartement ist das fraglich, muss man sich einerseits ständig über das Ausmass einigen: Schwanenplatz und Höhenweg, Rigi und Jungfraujoch, aber eigentlich auch Sperrstunde und Patentzwang. Die entsprechenden Instrumentarien sind in der Schweiz hochentwickelt – und damit wird systemisch eher gebremst als beschleunigt.
Andererseits gilt es angesichts der weltweiten Zunahme der Reiseströme immer dringender, die wachsenden Aufgaben der sogenannten «Personenhydraulik» und des «Yieldens» strategisch anzupacken. Personenhydraulik befasst sich mit dem Verhalten von Menschenströmen, beim Yielden wiederum geht es jenseits der Hotellerie letztlich um das Finden von Gleichgewichten.
Die aktuelle Tourismusstrategie des Bundes und die Positionspapiere der Tourismusbranche befassen sich damit höchstens indirekt: Zentral sind hier politische Ambitionen und prozessuale Forderungen, was konstruktive Auseinandersetzungen systemisch auch eher verhindert als fördert. Ähnliches gilt für den Diskurs in den Medien. Sie führen die Diskussion zwar intensiv, reduzieren sie aber zwecks Ausgewogenheit auf sich selbst und skandalisieren sie zwecks Verkauf – kommerzielle Massenmedien haben systemisch gar keinen Raum für das Konstruktive.
Wenn Tourismus aber in einer Welt funktionieren soll, in der es letztlich allen möglich sein soll, als Touristen unterwegs zu sein, müssen Aufgaben der Personenhydraulik und des Yieldens gelöst sein:
Die gewerblichen Leistungsträger im Tourismus müssen auf Gewerbefreiheit und Rechtssicherheit zählen können. Historisch und ökonomisch dürfte inzwischen unbestritten sein, dass dies ein Königsweg ist, der Beteiligten und Unbeteiligten dient und nachhaltig ist.
Industrielle touristische Leistungsträger hingegen, die weder mit dem Gast noch mit dem Reiseziel eine persönliche Beziehung haben können, sind entsprechend fragwürdig. Sie brauchen deshalb wenigstens die politische Akzeptanz der betroffenen Regionen.
Bei gewerblichen Kooperationen ist die öffentliche Hand unverzichtbar: Die sich selbst überlassenen Gewerbebetriebe brauchen starke Anreize, um zu kooperieren, sich damit gegenüber touristischen Industriebetrieben zu profilieren sowie von Netzwerkeffekten zu profitieren.
Politik ist ebenfalls gefragt bei allen übergeordneten logistischen Aufgaben. Reiseströme sind mit allen Mitteln zu steuern. Die grössten Hebel bieten hier Eingriffe in die Preise und in die Reisezeiten. Ziel muss es letztlich sein, dass die Gäste wie auch die Gastgeber zufrieden sein können – eigentlich eine dankbare Aufgabe.
Peter Grunder / GastroJournal
Dossiers: Overtourism | Tourismus
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