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20.10.2018
«Qualität muss vor Quantität kommen»
Gespräch mit Daniel Sulzer, Tourismusmanager von Interlaken
Interlaken gehört zu den Destinationen, die in den letzten Jahren zugelegt haben – für bis zum Gehtnichtmehr. Nun wird eine Auslegeordnung gemacht.
Daniel Sulzer leitet seit gut zwei Jahren die Tourismusorganisation der Destination Interlaken, die von der Internationalisierung des Tourismus in den letzten Jahren stark profitiert hat. Die Tourismusgeschäfte brummen teilweise so sehr, dass Diskussionen um zu viel Tourismus aufgekommen sind. Im Gespräch spricht Sulzer über die Hintergründe – und über eine Studie der Universität Bern, welche die Diskussion mit Fakten unterfüttert.
Herr Sulzer, hat Interlaken zu viele Gäste?
Daniel Sulzer: Das glaube ich nicht. Im Sommer gibt es sicher Zeiten, wo viele Gäste da sind, aber die Erfahrung zeigt, dass es praktisch immer verfügbare Betten für jeden Bedarf gibt. Im Winter und in den Nebensaisons wiederum haben wir ohnehin genügend Kapazitäten.
Hat also Interlaken angesichts der Diskussionen um das Zuviel an Touristen zu wenig Tourismusbewusstsein?
Diskussionen um Tourismus, um das Zuviel und Zuwenig, um das Richtige und das Falsche gibt es hier, seit Gäste kommen. Intensiviert haben sich diese Diskussionen jeweils, wenn neue Gästegruppen auftauchten, beispielsweise die japanischen Gäste ab den 1960er Jahren oder zuletzt die Gäste aus dem arabischen Raum.
Uns als Tourismusverantwortliche diesen Diskussionen zu stellen und den Tourismus in den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und umweltpolitischen Zusammenhang zu stellen, ist deshalb schon lange eine unserer ständigen Aufgaben.
Sind die Diskussionen um «Overtourismus» nur ein Hype?
Den Begriff mag ich nicht. Nun gibt es auf der Welt sicher Regionen, wo man zeitweise von zu viel Belastung durch Tourismus sprechen kann – wenn sich etwa tausende Landausflügler von Kreuzfahrtschiffen in kleine norwegische Küstendörfer ergiessen, wenn die Infrastrukturen zusammenbrechen und die Bevölkerung überfahren wird. Das ist in Interlaken aber nicht der Fall.
Es ist wie gesagt eher die Begegnung mit fremden Kulturen, die Fragen aufwirft. Allfälliges Unbehagen ist dabei ernstzunehmen, und auch deshalb haben wir bei der Universität Bern eine Studie in Auftrag gegeben, die taugliche Diskussionsgrundlagen schaffen und Handlungsräume aufzeigen soll.
Was ist bei der Studie herausgekommen?
In einen Teil trägt die Studie Fakten und Zahlen zusammen und stellt unter anderem fest, dass die Logiernächte in der letzten Generation um etwa 60 Prozent gestiegen sind und auf dem Bödeli zwischen Thuner- und Brienzersee in allen Beherbergungsformen mittlerweile jährlich 1.3 Millionen Übernachtungen erreichen.
Das bedeutet einerseits, dass zwar ein Grossteil der hiesigen Arbeitsplätze direkt oder indirekt mit dem Tourismus verbunden ist. Andererseits aber ist der kritische Wert von 200 Logiernächten pro Kopf der Bevölkerung nicht erreicht. Eine andere quantitative Erkenntnis betrifft die Boden- und Mietpreise. Sie haben aufgrund der gestiegenen Nachfrage zwar angezogen.
Aber die Bedenken, dass sich Verdrängungseffekte zulasten der Bevölkerung ergeben haben, bestätigen sich nicht. Im anderen, qualitativen Teil der Studie geht es weniger um Zahlen und Grenzen als um Befindlichkeiten und Handlungsmöglichkeiten.
Wohin geht die Reise?
Qualität muss vor Quantität kommen, und massgebend ist dabei eine intakte Landschaft, denn sie ist seit jeher der Hauptgrund, warum Gäste hierherkommen – und warum wir als Bevölkerung so gerne hier leben.
Um diese Qualitäten sicherzustellen, braucht es inzwischen vielleicht weniger Diskussionen um Angebote, als vielmehr eine kluge Lenkung der Gästeströme. Wir müssen zwar zuerst und vor allem Sorge tragen zur Natur, wir müssen Angebote haben, die nachhaltig bereitstehen und Produkte schaffen, die Gäste anziehen, ohne die Bevölkerung und die Infrastrukturen zu überlasten.
Aber weil unsere Leistungsträger das in vielen Bereichen ohnehin bereits tun und die sensiblen Bereiche eher quantitativer Art sind, geht es eher darum, die Gästeströme im Saisonverlauf und in der Region besser zu verteilen, so dass es zu weniger Spitzen kommt. Konkret wollen wir den Winter stärken sowie den Frühling und Herbst ausbauen.
Also technische Massnahmen?
Nicht nur. Grundsätzlich möchte ich, dass Interlaken eine Ganzjahresdestination wird, die ihre einzigartigen natürlichen Gegebenheiten international nachhaltig ins beste Licht rücken kann. Der Gast soll ein tolles Erlebnis mit nachhause nehmen, und die Bevölkerung soll Freude haben, dass diese Gegend bei so vielen Menschen so beliebt ist.
Das heisst auch, dass wir das Gespräch mit der Bevölkerung intensivieren und versuchen werden, sie für die Chancen des Tourismus zu sensibilisieren. So präsentieren wir die neue Studie diese Woche an der Interlakner Gewerbeausstellung. Die lokale Bevölkerung soll sich über die Erkenntnisse informieren können. Darüber hinaus hoffen wir auf konstruktive Kritik und womöglich sogar gute Ideen um den Tourismus und das Miteinander mit der Bevölkerung zu fördern.
Was sind weitere Herausforderungen?
Eine neue Herausforderung sind eben Entflechtungen und Verbesserungen der Verkehrsströme im Sinne der Gäste und der Bevölkerung. Eine weitere Herausforderung im Tourismus ist der ständige Investitions- und Reinvestitionsbedarf.
Zwar haben wir in unserer Region viele Unternehmen, die investieren können und sicherstellen, dass Angebote und Produkte stimmen. Aber viele Anbieter können die notwendigen Investitionen kaum aus eigener Kraft finanzieren.
Bedauerlicherweise hat das bernische Kantonsparlament kürzlich einen Vorstoss des Gemeindepräsidenten von Interlaken abgelehnt, der touristischen Anbietern und besonders Beherbergern Investitionen erleichtern will – ähnlich wie im Kanton Tessin.
Mit Blick auf andere Destinationsräume ist die Organisationsstruktur ebenfalls ein Thema, hier sollten wir grundsätzlich über Standortförderung nachdenken. Dies zumal ich in meinen inzwischen zwei Jahren hier in Interlaken öfters darauf angesprochen wurde, doch nicht nur Tourismus zu verkaufen.
Wenn wir aber in Richtung einer integrierten Standortförderung gehen und schlagkräftiger werden wollen, braucht es andere Aufgabenprofile und Ressourcenverteilungen – und da sind die strategischen Gremien der Vorstände und Verwaltungsräte gefragt.
Eine grosse Herausforderung sind nicht zuletzt die internationalen Buchungsplattformen, die eine Veränderungen von Angebot und Nachfrage mit sich bringen. Hier sind wir daran, gleich lange Spiesse zu schaffen und künftig zu verhindern, dass es Trittbrettfahrer und Profiteure gibt, die dank Airbnb und Co. im Tourismus Geld verdienen, sich aber nicht um selbstverständliche gewerbliche Regeln wie das Abführen von Kurtaxen kümmern.
Womit wir auch wieder bei der Sensibilisierung sind, denn Wildwuchs in diesem Bereich führt auch zu Dissonanzen. Und natürlich müssen wir in Sachen Digitalisierung vorwärts machen. Stichworte wie E-Mobility und E-Sharing werden uns in Zukunft beschäftigen.
Wird alles gut?
Ja, die Region Interlaken ist einzigartig, und die Menschen hier verwöhnen und begeistern schon seit Jahrhunderten immer wieder neue Generationen von Gästen. Zwar werden wir auch in Zukunft immer wieder Diskussionen haben, aber grundsätzlich zweifle ich nicht daran, dass wir zwischen den verschiedenen Interessen nachhaltig einen Ausgleich schaffen können und auch weiterhin eine der attraktivsten Ferien- und Ausflugsregionen der Welt bleiben werden.
Zur Person
Daniel Sulzer hat vor gut zwei Jahren die Nachfolge von Stefan Otz als Direktor der Tourismusorganisation Interlaken (TOI) angetreten. Der Betriebswirtschafter begann seinen Berufsweg als KV-Lernender beim Verkehrsverein Meiringen-Haslital, war als Verkaufsleiter im Kongressbereich bereits einmal in Interlaken tätig, führte aber auch ein Helikopterunternehmen. Sulzer ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Interview: Peter Grunder / GastroJournal
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Dossiers: Marketing | Overtourism | Tourismus
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