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31.08.2023
«Die Gastronomie ist das ideale Sprungbrett in die Politik»
Interview mit Nationalrat Mustafa Atici
SP-Nationalrat Mustafa Atici (54) ist Cateringunternehmer. Er kandidiert für eine weitere Amtsperiode in der Grossen Kammer. Zu seinen Kernthemen gehören die Bildungspolitik, die KMU-Wirtschaft und die Integration.
Mustafa Atici ist 1969 in der Türkei geboren. Der alevitische Kurde ist verheiratet und hat zwei Kinder. Von 2005 bis 2019 sass er im Grossen Rat des Kantons Basel-Stadt. 2019 wurde er in den Nationalrat gewählt. Geschäftlich ist Atici als selbständiger Berater und Unternehmer im Bereich Lebensmittel und Catering tätig, unter anderem im Fussballstadion St. Jakob-Park.
Wie tragen Sie dazu bei, die Stimme der KMU im politischen Prozess einzubringen?
Ich bin einer der wenigen selbständigen Unternehmer, die im Nationalrat aktiv sind. Ich versuche die Sichtweise der KMU in meine gesamte politische Arbeit einfliessen zu lassen. So habe ich mich während der Covid-Pandemie intensiv für die konkrete Unterstützung der KMU eingesetzt. Oder mein Engagement für die Stärkung der dualen Berufsbildung und die Gewinnung von mehr Fachkräften zielt darauf ab, das Gewerbe zu stärken.
Das ist Knochenarbeit, die nicht immer erfolgreich ist. Aber es ist mir zum Beispiel gelungen, dass für einen späteren Berufsabschluss ein vereinfachtes Verfahren zum Nachweis beruflicher Fertigkeiten eingeführt wurde. In der Politik geht es selten um die grossen Sprünge, sondern vielmehr um ganz viele kleine Schritte.
Welche Herausforderungen haben die Gastronomen?
Das wichtigste Problem ist zurzeit sicher die Fachkräftemangel. Aber es gibt auch viele andere Herausforderungen. So besteht bei den Selbständigerwerbenden in der Schweiz grosser Handlungsbedarf: Viele verfügen über eine sehr lückenhafte soziale Absicherung, vor allem wenn sie in margenschwachen Branchen tätig sind und wenig eigenen finanziellen Spielraum haben. Studien zeigen, dass jeder vierte Selbständige weder in die zweite noch in die dritte Säule einbezahlt. Das ist eine soziale Zeitbombe, die wir unbedingt vermehrt anschauen müssen.
Welchen Bezug haben Sie zum Gastgewerbe?
Ich habe 1996 mein erstes Unternehmen gegründet. Das war ein sehr erfolgreicher Gastronomiebetrieb in Basel. Wir waren damals die Ersten, die Döner Kebab anboten. Ich bin bis heute dem Gastgewerbe treu geblieben. Aktuell betreibe ich unter anderem ein Cateringunternehmen, das im Basler St. Jakob-Stadion tätig ist.
Wie kann man das Leben der Unternehmerinnen und Unternehmer im Gastgewerbe erleichtern?
Als Nationalrat beschäftige ich mich prioritär mit Bildungspolitik, da ich auch Mitglied der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur bin. Deshalb würde ich sagen, dass für das Gastgewerbe die Stärkung der Berufsbildung von grosser Bedeutung ist. Da haben wir – im Gegensatz zur akademischen Bildung – eindeutig Nachholbedarf.
Wir Unternehmerinnen und Unternehmer spüren alle den Fachkräftemangel, das ist schmerzhaft und das wird leider in der nächsten Zukunft nicht besser. Deshalb muss die Politik dafür sorgen, dass die Berufslehre aufgewertet und für junge Erwachsene wieder attraktiver wird. Auch Lehrbetriebe, die sich um leistungsschwächere Lehrlinge kümmern, brauchen mehr Unterstützung.
Welche Fähigkeiten, die Sie im Gastgewerbe brauchen oder gelernt haben, helfen Ihnen in der Politik?
Die Gastronomie ist das ideale Sprungbrett in die Politik, denn eine gute Kommunikation ist in allen Bereichen des Lebens das A und O. Ein guter Gastronom ist immer auch ein guter Kommunikator, er braucht Empathie, Geduld und muss mit den unterschiedlichsten Menschen gut umgehen können.
Und genau diese Eigenschaften braucht es meiner Meinung nach auch in der in der Politik. Wer in der Politik Erfolg haben will, muss mit Menschen zusammenarbeiten können, die die unterschiedlichsten Vorstellungen haben – und das habe ich in der Gastronomie gelernt.
Was haben Gastgewerbe und Politik sonst noch gemeinsam?
In der Gastronomie braucht es ein gutes Konzept, Zeit und viel Arbeit. In der Politik braucht es ein paar Anläufe, bis man eine Verbesserung dann auch tatsächlich erreicht hat. Für den Erfolg in beiden Bereichen gilt: Nie aufgeben und dem Guten konsequent treu bleiben.
Weshalb ist der ständige Kontakt zu den Wählerinnen und Wählern so wichtig?
Ich habe in meinem Leben immer ein Motto gehabt: Wenn wir politisch tatsächlich etwas bewegen wollen, brauchen wir die Nähe zu den Menschen. Deshalb bin ich auch in vielen Vereinen und Organisationen aktiv. In der Politik möchte ich die Interessen der Menschen vertreten, die mich gewählt haben. Deshalb ist es mir so wichtig, Menschen zu begegnen, ihnen zuzuhören und über ihre Anliegen und Bedürfnisse zu sprechen.
Welche Eigenschaften und Werte kann die Politik vom Gastgewerbe lernen?
Die Politik kann viel vom Gastgewerbe lernen: In der Politik braucht es eindeutig mehr Nähe zu den Menschen, mehr Kreativität, und die Bereitschaft, immer wieder etwas Neues auszuprobieren. Und: Reklamationen ernst nehmen und sofort darauf reagieren. Da braucht die Politik dringend Nachhilfestunden!
Weshalb ist es wichtig, dass das Gastgewerbe in der Politik vertreten ist?
In der Politik finden die Anliegen der grossen Unternehmen und finanzkräftigen Branchen viel Gehör. Leider ist die Vertretung des Gewerbes nicht so stark. Es wäre für die Interessen der KMU enorm wichtig, wenn sich auch mehr Gastronominnen und Gastronomen in der Politik einbringen würden. Denn es sind die vielen kleine Betreibe, die am meisten Arbeitsplätze und Lehrstellen schaffen: Da könnte etwas mehr Unterstützung des Bundes sicher nicht schaden…
Ihr Schwerpunkt ist die Berufsbildung, wo stehen wir jetzt in der Schweiz?
In das akademische Bildungswesen hat die Schweiz sehr viel investiert – jetzt muss sie endlich auch bei der Berufsbildung vorwärtsmachen. Ein Lehrling kostet die Allgemeinheit 14’716 Franken pro Jahr, ein Student ist mit durchschnittlich 36’359 Franken knapp dreimal so teurer.
Die Lehrstellenquote sinkt kontinuierlich. Damit die Schweiz genügend Fachkräfte hat, müssten auf 100 Vollzeitangestellte im Durchschnitt 6 Lehrlinge ausgebildet werden. Die aktuelle Lehrstellenquote liegt aber bei 4.5 Prozent.
Wie können wir die Lehrstellenquote steigern?
Unser Erfolgsmodell mit dem dualen Berufsbildungssystem wird aufs Spiel gesetzt, wenn der Bund jetzt nicht mehr Geld in die Aufwertung der Berufslehren investiert. In der aktuellen Finanzplanung des Bundes werden die Investitionen in der Berufsbildung für die nächste Periode (BFI-Planung 2025-2028) mit minus 0.1% vorgesehen. Das geht gar nicht!
Vor allem in unserer Branche brauchen wir mehr Unterstützung für die Berufsbildung der Jugendlichen, da wir nicht immer die Einfachsten haben, brauchen wir von den kantonalen Bildungsinstitutionen mehr Unterstützung.
Wo sehen Sie den dringendsten Lösungsbedarf?
Besonders dringend scheint mir die Problematik des Fachkräftemangels, das ist in fast allen Branchen ein sehr grosses Thema. Wir müssen mehr ausbilden, die vorhandenen Arbeitskräfte besser nutzen und breit in die Weiterbildung investieren.
Es ist mir ein grosses Anliegen, möglichst vielen Menschen mit einer angemessenen Bildung und Weiterbildung ein lebenslanges Lernen zu ermöglichen. Denn das sorgt dafür, dass es am sich dynamisch wandelnden Arbeitsmarkt ausreichend Arbeitskräfte und Fachleute gibt. Die Zeiten, als die Schweiz ihre Fachkräfte einfach aus dem Ausland holen konnte, sind vorbei. Auf dem ganzen Kontinent geht die Babyboomer-Generation in Rente, und weit weniger Kinder rücken nach.
Es kommt dazu, dass der Strukturwandel und die Digitalisierung ein lebenslanges Lernen unverzichtbar machen. Gemäss der OECD sind 27 Prozent aller Beschäftigten einem hohen Automatisierungsrisiko ausgesetzt. Namentlich Geringqualifizierte und ältere Arbeitnehmende können sich nur mit Weiterbildung nachhaltig am Arbeitsmarkt halten.
Unser Weiterbildungssystem erreicht aber ausgerechnet jene am wenigsten, die es am nötigsten hätten. «Der Schweiz ist es in den vergangenen Jahren nicht gelungen, die (..) Beteiligung an Weiterbildungsmassnahmen für Geringqualifizierte zu verbessern», hält der Bildungsbericht 2023 unmissverständlich fest.
Können Sie das noch etwas ausführen?
800'000 Erwachsene können in der Schweiz nicht richtig lesen und schreiben, 400'000 haben Mühe mit einfachen Rechenaufgaben und rund 500'000 haben keine Berufsbildung. Mangelnde Grundkompetenzen und eine fehlende Berufsbildung vermindern die Arbeitsmarktfähigkeit, erschweren die Weiterbildung und erhöhen das Risiko, von Sozialleistungen abhängig zu werden.
So gesehen sind mehr Investitionen in eine breit wirksame Bildung – notabene unsere wichtigste natürliche Ressource – wirtschafts- und sozialpolitisch von zentraler Bedeutung.
mustafaatici.ch
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Dossier: Berufsbildung
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