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04.12.2024

Urnäscher Beizenkunde, auch von eigensinnigen Menschen

Ein Beitrag von Dr. Fabian Brändle

Die Schriftstellerin und Journalistin Esther Ferrari (geboren 1940 in Speicher AR) hat mit Seniorinnen und Senioren geredet.

Ich habe beste Erinnerungen an das stattliche Appenzeller Ausserrhoder Dorf Urnäsch. Als Bube fuhren wir oft mit dem Auto Teufen oder St. Gallen zu und durchquerten das Bauerndorf. Manche Häuser, namentlich die Wirtshäuser (beispielsweise die «Sonne») waren üppig mit Geranien geschmückt. Ob sie miteinander konkurriert haben? Jedenfalls gab ich Urnäsch den Übernamen «Geraniendorf».

Für andere war Urnäsch ein Mekka der Wirtschaften. Nicht weniger als sechzig sollen es zu den besten Zeiten gewesen sein, so die Appenzell Ausserrhoder Schriftstellerin und Journalistin Esther Ferrari in ihrer sehr schönen Publikation über «Originale» aus dieser hügeligen Gegend, zweisprachig (Appenzeller Mundart / Hochdeutsch) erschienen unter dem witzigen Titel «Vo äggelige Urnäscher» im Appenzeller Verlag, Schwellbrunn (2017).

Die meisten Wirtschaften, kleine wie der urige «Säntisblick» oder grössere wie die beinahe schon herrschaftliche «Sonne», wurden indessen im Nebenerwerb geführt, als Nebenbetriebe von Metzgereien oder Bäckereien, die dann auch Brot und, sehr selten Innereien oder Bratwürste zu Weihnachten, ins Armenhaus brachten und somit sicheren Absatz hatten. Ansonsten wäre das finanziell gar nicht zu stemmen gewesen.

In einem eigenen Kapitel berichtet Esther Ferrari, die unter anderem ältere Menschen befragt hat (so genannte «oral history») von Wirtshäusern, Alkoholikern und freundlichen Wirtinnen, die den meistens männlichen Gästen geduldig zuhörten («ablosten»), zu diesen ein freundliches Wort sprachen, Kredit gewährten, mal eine Stange spendierten und einem abgerissenen Stammgast sogar die Leber eines frisch geschossenen Dachses offerierten.

Wie Serviceangestellte, damals «Fräulein» oder «Serviertochter» geheissen, mussten sie aber auch mit verbalen und sexuellen Übergriffen rechnen und sogar dazu genötigt, Gratisbier an alle auszuschenken. Auch Kinder alkoholisierter Vater mussten mit Übergriffen rechnen. Manch ein Gast «überhöckelte» und mochte einfach nicht heimgehen. Seine Frau zuhause sei böse. Er erzählte seine ganze Lebensgeschichte, und die Zeit zerrann sehr, sehr langsam.

Manchmal drohte echte Gefahr, beispielsweise, wenn an einem Markttag eine Schlägerei losging. Dann finde man stets ein Ohr unter einem Tisch beim Aufräumen, hiess es. Polizisten gerieten auch ins Visier von extrem starken Männern wie dem Innerrhoder «Bölere» oder dem Urnäscher «Mösli», echten Kraftmeiern, die unglaubliche Lasten hoben, aber unstet lebten.

Zu berüchtigter «Gastig» gehörten auch die oft fluchenden und betrunkenen Fuhrleute und jene Männer, die im Holz arbeiteten und sich gerne mit «Kaffi Schnaps» aufwärmten.

Insgesamt also überwogen früher, so um 1960, die Nachteile der traditionellen Urnäscher, männlich dominierten Wirtshauskultur den geselligen Aspekt, den wir heute an einer guten Bar so schätzen.

Dr. phil. Fabian Brändle, Historiker und Volksschriftsteller

Ferrari, Ether: Vo äggelige Urnäscher
Geschichten über Urnäscher Originale, erzählt in Mundart und Schriftsprache.
Schwellbrunn: Appenzeller Verlag, 2017

Bild: verlagshaus-schwellbrunn.ch


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