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05.01.2013

Trinkgelder in der Gastronomie

Overtips sind rechtlich nur sehr rudimentär geregelt

Das Trinkgeld wäre in der Gastronomie eigentlich längst abgeschafft! Trotzdem verschwinden Trinkgelder nicht ganz. Durch die Übernahme von Lebensgewohnheiten aus dem angelsächsischen Raum, wo 10 bis 15 Prozent Trinkgeld ("tip") zusätzlich zum Konsumationspreis als verbindlich angesehen wird, erleben sie sogar eher ein Revival.

Nicht selten kommt es vor, vor allem bei getränkegeprägten Betrieben mit einem urbanen Publikum, dass Trinkgelder beim Service- und Barpersonal einen nicht unerheblichen prozentualen Anteil zusätzlich zum Stunden- oder Monatslohn ausmachen.

Umso erstaunlicher ist es, dass das Thema Trinkgeld rechtlich nur sehr rudimentär geregelt ist. Vom Grundsatz her ist die Thematik, zumindest im Bereich der Gastronomie, zwar eindeutig gelöst. Als Folge von diesem Grundsatz stellen sich aber einige sehr interessante Fragen, die ebenfalls beachtet werden müssen.

1. Grundsatz: Trinkgelder sind kein Lohn!

In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat sich in der Gastronomie der Grundsatz durchgesetzt, dass Trinkgelder in den Serviceleistungen inbegriffen sind. Folglich müssen Serviceleistungen vom Kunden nicht (mehr) separat bezahlt werden, wie dies vor allem in den Vereinigten Staaten üblich ist. Löhne im Gastgewerbe werden also komplett aus dem Umsatz des Arbeitgebers bezahlt und das Personal verdient auch ohne Trinkgelder ordentliche Gehälter.

In den Gesamtarbeitsverträgen in der Gastronomie werden seitdem Fixlöhne ohne Trinkgeldbasis vereinbart. So findet sich im aktuell geltenden Landes-Gesamtarbeitsvertrag (LGAV) in Art. 9 Ziff. 3 denn auch die Vorschrift, dass der Einbezug freiwilliger Kundenleistungen wie Trinkgelder ins Mindestlohnsystem unzulässig ist. Das heisst, der Mindestlohn muss in jedem Fall in voller Höhe brutto entrichtet werden.

Die über den eigentlichen Konsumationspreis hinausgehenden, aufgerundeten Zahlungen eines Kunden, im Volksmund immer noch "Trinkgeld" genannt, werden hingegen rechtlich als "overtips" bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Geldleistung des Kunden an einen oder mehrere Arbeitnehmer.

Kurz und bündig lässt sich damit sagen, dass "overtips" keinen Lohn darstellen, sondern eine freiwillige Mehrleistung des Kunden sind. Würde es sich bei Trinkgeldern um einen Lohnbestandteil handeln (sogenannte "echte Trinkgelder"), wäre es theoretisch denkbar, diese in ein (Mindest-)Lohnsystem miteinzubeziehen.

Konsequenterweise müsste der Arbeitgeber dann nach Art. 322 OR dafür sorgen, dass der Mitarbeiter Trinkgelder auch tatsächlich einnehmen kann. In der Folge wären jedoch wohl Streitigkeiten an der Tagesordnung, insbesondere dann, wenn Trinkgelder nicht im versprochenen Masse fliessen. Ebenso wäre die Team-Stimmung wohl häufig angeschlagen.

2. Wem stehen die "overtips" zu?

Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei "overtips" um freiwillige Leistungen an einen oder mehrere Mitarbeiter des vom Kunden aufgesuchten Betriebes. Auf keinen Fall stehen die "overtips" somit dem Arbeitgeber persönlich zu, wenngleich dieser bei der Verteilung (mittels Weisungen, z.B Topf-Lösung) eine wichtige Rolle spielen kann. Die allgemeine Regel von Art. 321b OR, wonach ein Mitarbeiter dem Arbeitgeber alles herauszugeben hat, was er bei seiner vertraglichen Tätigkeit von Dritten erhält, findet für "overtips" keine Anwendung.

Natürlich wird der Kunde den "overtip" in erster Linie der Person ausrichten wollen, die ihn bedient hat. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Kunde den "overtip" kommentarlos oder mit der üblichen Bemerkung "stimmt so" übergibt. Das sich ein Kunde explizit zu der Verwendung des "overtips" äussert (z.B "für die Kaffeekasse" oder "für die Küche") kann zwar vorkommen, dürfte aber die Ausnahme bilden. Erfolgt allerdings eine derartige Weisung, ist sie als Wille des Schenkers zu beachten.

In der Lehre allgemein anerkannt ist, dass der Arbeitgeber, sofern keine oben genannte Weisung erfolgte, Regelungen über die Verwendung des "overtips" erlassen kann. Dabei sind sämtliche denkbaren Verwendungsformen möglich, sofern sie nicht extrem willkürlich oder ungerecht sind. Oft wird ein Verteilschlüssel nach Köpfen und Stellenprozenten angewendet, bei welchem auch die Küche partizipiert. Es existieren auch "Reisekassen", die mit dem "overtip" geäufnet werden. Einen klagbaren Anspruch des Mitarbeiters auf den einkassierten "overtip", respektive den fiktiven Anteil daran, existiert nicht.

Allerdings ist es höchst umstritten, ob der Arbeitgeber über den "overtip" mittels des allgemeinen Weisungsrechts bestimmen kann oder ob es dafür eine Regelung in einem Arbeitsvertrag braucht. Aus Rechtssicherheitsgründen ist es sehr zu empfehlen, die Verteilung des "overtips" in Arbeitsverträgen zu regeln, wobei der Verweis auf ein Betriebsreglement genügen sollte.

3. Darf die Annahme von Trinkgeldern untersagt werden?

In der Lehre ist es unstrittig, dass ein Arbeitnehmer ohne gegenteilige Anweisung "overtips" oder kleinere Geschenke ohne Rücksprache annehmen darf, ohne dass er dadurch die Treuepflicht gegenüber seinem Arbeitgeber verletzt. Dies folgt aus Art. 321a OR.

Da in der Gastronomie sehr üppige "overtips" ohnehin nicht üblich sind, braucht die Unterscheidung zwischen kleineren und grösseren Zuwendungen keine grosse Rolle zu spielen. Ein Mitarbeiter darf somit, ohne gegenteilige Anordnung, ohne weiteres "overtips" annehmen. Umgekehrt kann man sich allerdings fragen, ob ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern die Annahme von "overtips" generell untersagen kann.

Gestützt auf das oben erwähnte allgemeine Weisungsrecht wäre dies zwar theoretisch denkbar. Da "overtips" im Gastgewerbe jedoch als allgemein üblich angesehen werden und vom Personal als selbstverständliche Einkommensergänzung betrachtet werden, würde ein solches Verbot sowohl bei Gästen als auch beim Personal auf Unverständnis stossen. Die praktische Relevanz ist daher beschränkt.

Exkurs: In der Welt der Casinos, zumindest solange es sich um konzessionierte Spielbanken in der Schweiz handelt, ist es den Angestellten untersagt, Trinkgelder in Form von Bargeld oder eines Jetons anzunehmen. Diese müssen in einem speziellen Behälter, "tronc" genannt, deponiert werden (Art. 29 Spielbankengesetz). Nur Portiers, Reinigungspersonal und Chasseure und somit explizit nicht die Croupiers dürfen persönliche Zuwendungen annehmen (Art. 29 Abs. 2 SBG).

4. Lohnfortzahlung

Wird ein Arbeitnehmer wegen einer Krankheit oder eines Unfalls arbeitsunfähig, hat er für eine beschränkte Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung. Ausgehend von der allgemeinen Regel, dass "overtips" keinen Lohn darstellen, ist nach der herrschenden Lehre für "overtips" auch keine Lohnfortzahlung geschuldet.

Auch wenn die Lohnfortzahlung einer Krankentaggeldversicherung nach Ablauf der Wartefrist nach Art. 23 L-GAV 80% des durchschnittlichen Bruttolohnes bezahlt, kann dies bei Mitarbeitern mit einem grossen Einkommensanteil an "overtips" zu merklichen Einkommenseinbusse führen.

Sollte ein Arbeitnehmer dieses Risiko nicht eingehen wollen, muss er die eingenommenen "overtips" in der Lohnabrechnung und auf dem Lohnausweis ausweisen lassen. Allerdings schuldet er dann darauf Sozialversicherungsabgaben und das erhöhte Einkommen wird in diesem Umfang steuerpflichtig. Der Arbeitgeber muss ebenso seinen Anteil an die Sozialversicherung bezahlen.

5. Ferienlohn

Die gleiche Problematik gilt auch beim Ferienlohn. Als Ferienlohn betrachtet man den Anteil des Lohnes, der auf die vertraglich festgelegten fünf Wochen Ferien pro Jahr entfällt. Da "overtips" keinen Lohn darstellen, ist auch hier der Ferienlohn nur auf den Bruttolohn geschuldet.

6. Dreizehnter Monatslohn

Hier gilt sinngemäss das unter 4. und 5 gesagte.

7. Sozialversicherungen

Im Gegensatz zur Lohnfortzahlung zählen Trinkgelder, sofern sie einen wesentlichen Lohnbestandteil ausmachen, eigentlich zum massgeblichen Lohn im Sinne der AHV-Gesetzgebung (Art. 7e AHVV). Allerdings kann gemäss der Wegleitung zum massgebenden Lohn (WMG) in Branchen, die "overtips" kennen, davon ausgegangen werden, dass nur noch Trinkgelder in einem unwesentlichen Masse fliessen (Rz. 2023). So gesehen sind "overtips", Spezialfälle ausgenommen, nicht abzugspflichtig.

8. Steuern

Nach Art. 17 Abs. 1 DBG sind Trinkgelder steuerbares Einkommen für die Bemessung der direkten Bundessteuer. Mit anderen Worten: "overtips" in der Gastronomie sind steuerpflichtig. Gleiches gilt gemäss verschiedenen kantonalen Steuergesetzen (z.B §17 StG ZH).

9. Fazit

"Overtips" werden nicht als Lohnbestandteil behandelt und damit im Regelfall auch nicht sozialversicherungspflichtig. Aus der Tatsache, dass Lohn und Trinkgeld strikt getrennt werden, entstehen dem Arbeitgeber nur Vorteile. Er kann mittels arbeitsvertraglicher Regelung für klare Verhältnisse sorgen und braucht keine Sozialversicherungsabgaben darauf zu entrichten.

Für den Arbeitnehmer birgt die geltende (ungeschriebene) Regelung Vor- und Nachteile. Er erhält die "overtips" praktisch ungekürzt, da sie de facto nicht sozialversicherungspflichtig sind. Allerdings kann er sie im Falle einer Arbeitsunfähigkeit auch nicht als Lohnersatz geltend machen und riskiert daher grössere Einkommenseinbussen.

Quelle: Rechtsdienst GastroSuisse


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