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03.07.2014

Besorgnisgesellschaft – Hintergründe der Tabakbekämpfung

Romano Grieshaber rezensiert Günter Ropohls neuestes Buch

Professor Günter Ropohls aktuelles Buch "Besorgnisgesellschaft", erschienen im Parodos-Verlag Berlin, liest sich schnell – es umfasst inklusive Anhang um die 150 Seiten – und mühelos, da der Autor, wie immer, eine flotte Feder führt. Es ist problemlos möglich, dieses Buch an einem Abend durchzulesen, und Spass macht es ausserdem auch noch. Sie sollten es also tun.

Schlafen Sie anschliessend eine Nacht drüber. Und dann lesen Sie es am besten noch einmal von vorne. Das meine ich ernst: So viel Zeit sollten Sie sich für diese messerscharfe Analyse nehmen, die alle bedeutsamen Aspekte eines vielschichtigen Problems auf knappstem Raum zusammenfasst.

Dieses Buch – man sieht es ihm auf Anhieb nicht an – ist nämlich eine Anregung zum Nachdenken auf Metaebene und Grundlage für tiefergehende Reflexionen über die Hintergründe einer gesellschaftlichen Umformung und eines Wertewandels, den man kritisch begleiten muss.

Nicht nur deshalb, weil er die Gefahr einer wissenschaftlichen Fehlentwicklung in sich trägt, sondern vor allem, weil er einen Angriff auf die Freiheit darstellt, dessen Dimensionen im Moment von kaum jemandem überblickt werden. Und damit ist bei weitem nicht nur die Freiheit der Raucher gemeint, obwohl die Tabakbekämpfung das näher betrachtete Beispiel für ein aus dem Ruder laufendes Risikovermeidungsdenken ist, das die Fundamente einer freien und pluralistischen Gesellschaft zu beschädigen droht.

Günter Ropohl ist nicht der Erste, der zu ergründen versucht, warum ausgerechnet in der Frage des Rauchens bei Politik, Wissenschaft und Medien vor ein paar Jahren fast schlagartig und zur selben Zeit der Verstand ausgesetzt zu haben scheint – auch meine Wenigkeit hat sich auf diesem Gebiet bereits versucht –, aber seine knappe, dichte und präzise Darstellung ist besonderen Lobes wert.

Vergeblich sucht man in seinem Werk nach dem einen Bösewicht – es würde die Sache sehr vereinfachen, wenn es einen gäbe! –, der an allem schuld ist, obwohl Fehlverhalten – zum Teil auch gravierendes Fehlverhalten – bestimmter Akteure durchaus benannt wird. In dem komplexen Geschehen, das im Lauf der letzten etwa zehn Jahre dazu führte, dass man längst das Einsetzen und eine sich schleichend weiter vollziehende Spaltung der Gesellschaft in eine Mehrheit der Nichtraucher und eine Minderheit der Raucher diagnostizieren kann, spielt aber leider gerade die Wissenschaft – im Verein mit Politik und Medien – eine Rolle, für die man sich als Wissenschaftler in Grund und Boden schämen möchte.

Ropohl arbeitet einleuchtend und klar heraus, dass Wissen in einer Besorgnisgesellschaft keine eigene Orientierungsgrösse mehr darstellt, sondern nur noch über den Tunnelblick der Besorgnis gefiltert, medial aufbereitet und auf diesem Weg von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Heerscharen sogenannter Experten haben ihr gutes berufliches Auskommen damit, diese gesellschaftliche Grundstimmung der Besorgnis fleissig weiter zu schüren, weshalb auch nicht zu erwarten ist, dass sie jemals von alleine damit aufhören werden.

Der Nachfragesog der besorgten Gesellschaft wie auch jener Experten erzeugt immer neue Angebote der begehrten Ware alarmierender wissenschaftlicher Erkenntnisse. Der Wissenschaft ist vorzuwerfen, dass sie diese Ware bereitwillig liefert. Man kann im Grunde verstehen, warum sie das tut – die Verteilung von Fördergeldern, politischer Druck und allerlei Faktoren mehr –, aber das macht die Sache auch nicht besser. Hinzu kommt eine wissenschaftliche Herangehensweise – Ropohl bezeichnet sie als "naives Maschinenmodell" –, bei der viel verglichen und gezählt und gerechnet wird und innerhalb der Methodik auch sehr wohl rechnerisch korrekte Ergebnisse herauskommen, die aber leider den Nachteil haben, dass sie ungeachtet ihrer Korrektheit das tatsächliche Krankheitsgeschehen nicht widerspiegeln.

Eine beunruhigende Entwicklung besteht darin, dass sich Politiker und Juristen in ihren gesetzgeberischen Umsetzungen im Falle des Rauchens zunächst noch auf solchermassen gewonnene wissenschaftliche Belege beriefen, die einen Schutz der Nichtraucher dringend nötig zu machen schienen. Inzwischen stützen sie sich aber hauptsächlich auf die Besorgnis der Gesellschaft, die von ihnen selbst geweckt wurde, um den geplanten Gesetzesvorhaben Akzeptanz zu verleihen, und haben mit nennenswertem Widerstand deshalb nicht mehr zu rechnen.

Wo ein als notwendig unterstellter abstrakter Gesundheitsschutz, der zudem nicht einmal einer Überprüfung in der Realität bedarf, von Gesetzgeber und Justiz aber nach dem Grundgesetz eigentlich gleichrangigen persönlichen Freiheiten übergeordnet wird, da wird die Menschenwürde nicht weniger angegriffen als durch den "Schutz", mit dem Datenspionage, Lenkungs- und Umpolungsversuche durch die Geheimdienste gewisser Staaten begründet werden.

Der Kampf gegen den Terror bietet ein Spiegelbild der Taktik, die auch von der WHO im Ernährungs- und Genussbereich verfolgt wird. Die Freiheit des Einzelnen zu schützen, indem jeder präventiv in seinen privatesten Bereichen überwacht wird, führt den Freiheitsgedanken auf dieselbe Orwellsche Weise ad absurdum wie ein Gesundheitsschutz, der auf Verboten und Regulierungen beruht und, das liegt in der Natur der Sache, nur perfektioniert werden kann, wenn niemand mehr freie Entscheidungen treffen kann, die seine Gesundheit betreffen.

Bei einer gesellschaftliche Grundstimmung der weitest möglichen Risikovermeidung werden immer geringere Risiken immer stärker gefürchtet – Experten und Medien tun ihr Möglichstes, um diese Ängste zu schüren –, also wird unvermeidlich der einmal eingeschlagene Irrweg in jene Richtung weiterverfolgt, auf dem ab einem bestimmten Punkt grundlegende Freiheiten verloren gegangen sein werden, in Jahrhunderten hart erkämpfte Errungenschaften, die bereits jetzt bedroht sind, wie die Pressefreiheit, der Wissenschaftsfreiheit und die der freien Meinungsäusserung. Von den notwendigen nationalen Hoheiten gar nicht erst anzufangen, die einer überall gleichzeitigen und gleichartigen Risikobekämpfung auf EU-Ebene geopfert werden.

Den Terror auszurotten, ist auf diesem Weg bislang übrigens nicht gelungen, eher scheint das Gegenteil zuzutreffen. Es ist geradezu atemberaubend naiv, zu glauben, im Falle des Kampfs gegen Gesundheitsgefahren sei das aber ganz anders.

Eine vom Autor nicht ausdrücklich beantwortete Frage lautet, ob die von ihm – meiner Meinung nach zutreffend – diagnostizierte Besorgnisgesellschaft von Dauer sein wird und wenn nicht, was ihr eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages den Garaus machen wird. Vom Materialismus nach den Hungerjahren, die dem Zweiten Weltkrieg folgten, über das Streben nach individueller Freiheit der Achtundsechziger bis zum Vermeiden von Risiken, das heute dominiert, waren immer diejenigen Werte besonders gefragt, die subjektiv von der Gesellschaft vermisst wurden.

Ropohl weist zu Recht darauf hin, dass es keinen Grund gibt, in unserer Gesellschaft, wo sich die Lebenserwartung im letzten Jahrhundert verdoppelt hat, ausgerechnet die Gesundheit zu vermissen, aber einem gefühlten Fehlen kann man durchaus dieselbe Wirkung unterstellen. Es gibt aber auch so einiges, das neben uns Älteren auch die nachwachsende Generation in einer Besorgnisgesellschaft vermisst und bestimmt eines Tages einfordern wird.

Das gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil die Wirkung des Verringerns von abstrakten statistischen Risiken, auch gesundheitlichen Risiken, beim Einzelnen gar zu oft zu Enttäuschungen führt. Einem lebenslangen Nichtraucher, der an Lungenkrebs erkrankt, ist es überhaupt kein Trost, dass er nach Meinung seiner Ärzte einen "negativen Sechser im Lotto" gezogen hat. Der Ex-Raucher, der den Beschwörungen seines Arztes gefolgt ist und das Rauchen aufgegeben hat, wird vielleicht gerade deshalb für den Rest seines Lebens zum Diabetes-Patienten.

Und sogar, wer sich in hohem Alter eigentlich zufrieden sagen können müsste: Alles richtig gemacht, zum Glück habe ich immer auf meine Gesundheit geachtet... der steckt womöglich in einem Pflegeheim fest, wo er dank Personalmangel und gewinnmaximierender Ausrichtung des Trägers nur notdürftig versorgt wird, keine Ansprache mehr hat und seine wohlverdiente Belohnung eines langen Lebens ab einem gewissen Punkt eher als Strafe empfinden muss.

Was man nicht hat, gerade danach verlangt es den Menschen für gewöhnlich: Im zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieg wollte man nichts weiter mehr als nur ein Ende der Bombennächte. Nach Armut, Hunger, Kälte der ersten Nachkriegsjahre bemühte man sich um Befriedigung der elementaren Bedürfnisse, und waren die befriedigt, wollte man mehr Bequemlichkeit im Alltag. Nun vermisste man aber die Freiheiten, nach denen man zuvor gar nicht gefragt hatte. Und als schliesslich auch die Freiheit vollständig ausgekostet war, wollte man gerne auch noch unsterblich sein. Es ist ein bisschen wie beim Märchen vom Fischer und seiner Frau. Ob es mit der Besorgnisgesellschaft dasselbe Ende nimmt?

Die weltpolitischen Entwicklungen – Syrien, Irak, Ukraine – lassen zuweilen die Ahnung aufblitzen, dass es keine Selbstverständlichkeit ist, sich mit solcher Ausdauer mit einem Scheinproblem wie der Bekämpfung des Tabakgebrauchs befassen zu können. Die Hartnäckigkeit der WHO und der ihr zuarbeitenden staatlichen, halbstaatlichen, nichtstaatlichen und kommerziellen Organisationen bei der weltweiten Durchsetzung der FCTC, der "Rahmenvereinbarung zur Eindämmung des Tabakgebrauchs", hat nichts damit zu tun, dass die Welt neuerdings keine anderen Sorgen mehr hätte.

Hinter dieser Hartnäckigkeit stecken Funktionäre aus Weltregionen, in denen die Lebenserwartung um die 80 Jahre beträgt und wo man seit Jahrzehnten an ein friedliches Leben ohne größere Gefahren für den auf ewig garantierten Normalfall hält (unterstützt von Pharmakonzernen, die wiederum ihre eigenen gewinnorientierte Agenda im Gepäck haben).

In diesen von jahrzehntelangem Wohlstand verwöhnten Kreisen will man es nicht mehr für normal halten, dass das menschliche Leben endlich ist und ein Alter irgendwo zwischen 80 und 90 Jahren eine Grenze, die bei guter Gesundheit und klarem Verstand auch in Zukunft nur wenigen zu überschreiten vergönnt bleiben wird.

Diese lebensfremden Funktionäre, die sich zu Hütern unserer Gesundheit aufgeschwungen haben und sich dabei vielfach im Ernst einbilden, wenn sie uns nur erst den Genuss beim Essen, Trinken und Rauchen ausgetrieben haben, dann würden wir gesund und glücklich werden und ihnen ewig dafür dankbar sein: Was werden diese Leute wohl tun, sollten sie jemals mit einer wirklichen, massenhaft auftretenden akuten Bedrohung konfrontiert werden?

Ich behaupte: Spätestens das Auftreten einer solchen Bedrohung wird die Besorgnisgesellschaft samt ihres in Wissenschaft, Medien und Politik heute irrlichternden Personals, dessen Kompetenz in solchen Lagen sehr in Zweifel gezogen werden muss, so schlagartig hinwegfegen, dass sich spätere Generationen wundern werden, warum dies nicht schon viel früher geschehen ist.

Da man aber verrückt sein müsste, sich Probleme solchen Ausmasses herbeizuwünschen, ist zu hoffen, dass stattdessen ein neuer Wertewandel aus der Mitte der Gesellschaft kommen und dieselbe Wirkung haben wird. Noch fehlt in der Breite der Gesellschaft ein mehr als nur unterschwelliges Gefühl des Mangels, das dafür sorgt, dass die permanente Besorgnis um die Gesundheit in Zorn über die wachsende Beschneidung der Freiheit und Menschenrechte und entsprechend nachdrückliche Forderungen umschlagen lässt.

Professor Ropohl ist es mit diesem Buch gelungen, einer zunehmend schizoiden Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und zu einer Abwägung ihrer Wertewelten anzuregen. Insbesondere zeigt er deutlich, wohin die unglückselige Verflechtung einer gesellschaftlich dominierenden, ängstlichen Grundstimmung mit einer sich als Heilsbringer verstehenden Gesundheitskultur mit immer extremistischeren Züge führen können: nämlich dazu, dass freiheitlich organisierte Gesellschaften, denen die Segnungen des Heils nicht einfach von oben herab verordnet werden können, in den einschlägigen Expertenkreisen zunehmend als so lästig empfunden werden und dass ihre Ausschaltung vielfach nicht mehr als grosser Verlust empfunden würde. Beunruhigend ist in diesem Zusammenhang auch die Machtverschiebung weg von den Nationalstaaten hin zur sehr viel weniger demokratisch strukturierten Europäischen Union.

Hoffen wir, dass in der Not das Rettende mitwächst. Extremisten kennen immer nur ein "entweder – oder". Statt "Freiheit oder Sozialismus" heisst es heute "Freiheit oder Gesundheit" – und dabei die Gesundheit zu wählen, ist angeblich "alternativlos", eine Vokabel die völlig zu Recht einmal zum Unwort des Jahres gewählt wurde, weil sie "sachlich unangemessen" suggeriert, "dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe."

Es ist aber sehr wohl möglich, sich bei obiger Wahl für die Freiheit zu entscheiden, und wenn diese Entscheidung es immer schwerer hat, Respekt zu erlangen, stimmt etwas Grundlegendes in der Gesellschaft nicht mehr. Gebraucht würde aber vor allem die gesellschaftliche und insbesondere die wissenschaftliche Suche nach dem "sowohl als auch": dem Gesundheitsstreben, das Freiheitsvorstellungen nicht behindert.

Vielen Dank Prof. Ropohl, für diese anregende Hintergrundanalyse, deren Umfang in keinem Verhältnis zu seiner inhaltlichen Bedeutung für unsere Gesellschaft steht. Man möchte diesem Büchlein eine Auflage in Stéphane-Hessel-Dimensionen wünschen.

Prof. Dr. med. Romano Grieshaber ist Arzt und war bis 2011 Präventionsleiter der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe. 2007 wurde er zum Honorarprofessor für Angewandte Prävention und Gesundheitsförderung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) ernannt. 2012 erschien sein Buch "Passivrauchen – Götterdämmerung der Wissenschaft".

Günter Ropohl: Besorgnisgesellschaft: Hintergründe der Tabakbekämpfung
Parodos Verlag, Berlin 2014, 153 S., 14.90 Euro (D), ISBN: 978-3-938880-67-8


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