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13.02.2015
Wie wir bei einem Eurokurs von 1 überleben
Der Währungsschock als Chance
Keine Branche ist so sehr von der Aufhebung des Euro-Mindestkurses betroffen wie das Gastgewerbe. Während viele Industriebetriebe nun wenigstens gewisse Vorleistungen im Ausland günstiger einkaufen, fallen unsere Kosten fast ausschliesslich in Franken an: Die Löhne, die Mieten und sogar die Waren. Solange wir keine echte Einkaufsfreiheit haben, sind wir Importeuren und Produzenten ausgesetzt, die ihre Währungsgewinne einbehalten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Viele wollen es nicht wahrhaben, aber namhafte Teile unserer Wirtschaft befinden sich in einer Krise – oder auf dem Weg dorthin. Die Politik hat sich jetzt um die "wirklichen" Probleme zu kümmern. Ohne parteiübergreifenden "Pakt für die Schweiz" verschwindet in unserem Land eine sechsstellige Zahl von Arbeitsplätzen.
Mit 210'000 Beschäftigten ist das Schweizer Gastgewerbe einer der wichtigsten Arbeitgeber im privaten Sektor. In den letzten sechs Jahren ging allerdings jeder neunte Arbeitsplatz verloren, obwohl im gleichen Zeitraum die Wohnbevölkerung um fünf Prozent zulegte.
Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Gastgewerbes ist es schlecht bestellt. Natürlich gibt es wie in jeder Branche Unternehmer, die ihre Hausaufgaben nicht erledigen und deshalb eine Mitschuld tragen. Um diese geht es nicht: Sorgen bereitet uns, dass vermehrt auch Gastronomen und Hoteliers ums Überleben kämpfen, die ihre Betriebe professionell führen.
Hausaufgaben für Unternehmer und Politiker
Die enorme Frankenstärke hat Probleme akut werden lassen, die schon länger bestehen. So ist zum Beispiel die Zahl der Hotelübernachtungen im alpinen Raum trotz Euro-Mindestkurs und Mehrwertsteuer-Beherbergungssatz innert weniger Jahre um 15 Prozent zurückgegangen. Zwar ist die Stadthotellerie in besserer Verfassung, doch im Vergleich zu ausländischen Konkurrenzdestinationen ist die Dynamik gering.
Durch die Aufgabe des Mindestkurses wurden Aufenthalte in der Schweiz für Reisende aus dem Euroraum auf einen Schlag nochmals 20% teurer. Unsere Berufskollegen im Ausland sind nicht schlechter als wir, aber einfach viel billiger! Weil immer mehr Schweizer ihre Ferien im Ausland verbringen und immer weniger Personen aus dem Euroraum bei uns übernachten, verliert die Tourismusbranche mehrere Milliarden Franken Umsatz pro Jahr.
Das ist noch nicht alles: Durch den Gastronomietourismus, also grenzüberschreitende Verzehrfälle im Rahmen von Tagesreisen, fliessen jährlich gegen vier Milliarden Franken Kaufkraft ins Ausland ab! Nun sind alle Dämme gebrochen: Das spürt unsere Branche bis weit ins Landesinnere.
Die Arbeitskosten pro Stunde in der Schweizer Tourismusbranche waren schon zum Kurs von 1.20 doppelt so hoch wie in Österreich. Mit dem tieferen Euro sind die Differenzen für eine Branche, die fast 50 Prozent Personalkosten aufweist, unerträglich geworden. Deshalb werden die Arbeitnehmer einen Beitrag zur Sicherung ihrer Stellen leisten müssen.
Ob unter diesen Umständen an der Sozialpartnerschaft festgehalten werden kann, ist ungewiss. Auch wenn wir es möglichst vermeiden möchten, unsere Mitarbeiter die Zeche zahlen zu lassen, denn sie leben – mit Ausnahme der Grenzgänger – in der Hochpreisinsel Schweiz.
Letztere wiederum ist für uns vor allem eine Hochkosteninsel: Wir müssen zu internationalen Preisen wettbewerbsfähig sein, aber zu hohen Schweizer Kosten produzieren. Kein Wunder, zehren die meisten Betriebe seit langem von der Substanz. Wo es keine Mäzene gibt, verschärft sich der Investitionsstau. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen!
Nicht nur Unternehmer müssen ihre Hausaufgaben erledigen, sondern auch die Politik. Diese hat jetzt rasch und entschieden zu handeln. Damit meinen wir nicht ein Konjunkturprogramm, das gleich verpufft und möglicherweise bei den Falschen ankommt. Nein, jetzt gilt es endlich, dringend notwendige Reformen und Marktöffnungen voranzutreiben.
Protektionistische und wettbewerbsfeindliche Tendenzen
Die Grenzen der Selbstausbeutung sind schon lange überschritten. Eine realistische Überlebenschance haben viele Gastronomen und Hoteliers nur, wenn die Einkaufspreise von Lebensmitteln und Nonfood-Artikeln drastisch sinken. Das wäre auch problemlos möglich, würde es nicht durch staatliche und private Hürden verhindert.
Könnte das Schweizer Gastgewerbe seine Vorleistungen im Agrar- und Nahrungsmittelbereich zu Preisen wie in Österreich einkaufen, hätte dies bei einer Kursparität zum Euro eine Ersparnis von 1.5 Milliarden Franken zur Folge. Es kann doch nicht sein, dass eine Branche, die nicht auf Rosen gebettet ist, die Landwirtschaft mit solchen Summen verdeckt subventioniert.
Wir würden sehr gerne Schweizer Lebensmittel einkaufen, aber bitte zu Wettbewerbspreisen. Wie die Beispiele Wein und Käse zeigen, können einheimische Produkte problemlos etwas teurer sein und dennoch guten Absatz finden.
Beim Fleisch bezahlen Schweizer Wirte aber oft das Doppelte oder gar Dreifache wie ihre Berufskollegen im benachbarten Ausland. Beim Gemüse ist es je nach Jahreszeit sogar das Fünffache. Tiefkühl-Pommes kosten bei uns, auch wenn die meisten Kartoffeln aus Holland kommen, das Vierfache!
In der Wirtschaftspolitik machen sich seit Jahren marktabschottende, protektionistische und wettbewerbsfeindliche Tendenzen bemerkbar. Die Verhandlungen über einen Agrarfreihandel mit der EU wurden gestoppt, beim Fleischimport wurde auf "Inlandleistung" umgestellt und nun gibt es auch noch Bestrebungen, Lebensmittel vom Cassis-de-Dijon-Prinzip auszunehmen. Nicht zuletzt lassen Volksinitiativen der Bauern und der Grünen grüssen. Und die Kartellgesetzrevision ist gescheitert.
Faktisch sind wir gezwungen, die meisten Güter im Inland zu kaufen. Eine parlamentarische Initiative von Ständerat Hans Altherr will der überrissenen Kaufkraftabschöpfung durch ausländische Unternehmen einen Riegel schieben. Der faktische Beschaffungszwang im Inland – ein privates Handelshemmnis – soll aufgehoben werden.
Krass missbräuchliche "Schweiz-Zuschläge" vermindern unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das wirkt sich auf die Ertragslage und die Löhne sowie letztlich auf die Zahl der Arbeitsplätze negativ aus. Überhöhte Importpreise haben auch zur Folge, dass viel Kapital zu den Lieferanten ins Ausland abfliesst. Die NZZ nannte dies einmal die "andere Abzockerei". Wir werden im Gegensatz zur ausländischen Konkurrenz gezwungen, ineffizient zu wirtschaften!
Unser Ziel ist es nicht, dauerhaft im Ausland einzukaufen, sondern dafür zu sorgen, dass in der Schweiz Wettbewerbspreise zustande kommen. Dann kaufen wir liebend gerne wieder hier ein. Wenn die Eidgenössischen Räte in dieser Sache nicht vorwärts machen, unterstützen wir die Lancierung einer Volksinitiative gegen die Preistreiberei der Konzerne.
Selbstredend müssen auch staatliche Hürden abgebaut werden. Die technischen Handelshemmnisse sind ein grosses Ärgernis. Auf teure Sonderwünsche bei den Produktedeklarationen ist verzichten. Produktezulassungen sind zu erleichtern. Und wann wird unser Zollsystem an internationale Gepflogenheiten angepasst?
In Zukunft sind alle in den Nachbarländern legal erhältlichen Produkte generell und ohne Ausnahmen auch in der Schweiz zuzulassen! Es würde auch viel helfen, wenn der Nachweis der EU-Verzollung für eine vereinfachte Verzollung an der Schweizer Grenze genügte und die Rechnung eines europäischen Importeurs als Nachweis des Ursprungszeugnisses für einen Schweizer Händler gälte.
Auf teure Swiss-Finish-Regelungen, z.B. in der Luftreinhaltung, beim Gewässerschutz, bei Bau- und Sonderabfällen, ist zu verzichten. Die Baunormen müssen harmonisiert werden. Auch sonst gibt es viel Spielraum, Regulierungskosten endlich abzubauen.
Ganz dringend muss die Marktöffnung im Agrarbereich vorangetrieben werden. Wir schlagen deshalb vor, in einem ersten Schritt die "weisse Linie" zu öffnen sowie Fleischimporte durch eine Ausweitung der Importkontingente und eine Halbierung der Schutzzölle zu erleichtern.
Eine Senkung der Zölle würde als Vorleistung für die WTO anerkannt. Marktöffnungen würden den Weg für wichtige Freihandelsabkommen öffnen, z.B. mit Brasilien und den Vereinigten Staaten. Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wird enorme Auswirkungen mit sich bringen: Warten wir weiter zu, gibt es einen Riesenknall!
Unser Anliegen, wenigstens bei der Mehrwertsteuer für Gerechtigkeit zu sorgen, wurde vom Bundesrat und vom Parlament bekämpft. Aus Angst, Brot und Butter im Laden könnten ein paar Rappen teurer werden, hat auch das Volk deutlich Nein gesagt zur Volksinitiative "Schluss mit der MwSt-Diskriminierung des Gastgewerbes". Dennoch sei es hier erwähnt: Ein tiefer Einheitssatz würde unserem Land enorm gut tun.
Subventionen als Alternative
Werden obige Vorschläge umgesetzt, werden wir wieder zu einer prosperierenden Branche. Es gibt aber auch einen anderen, uns weniger sympathischen Weg: Subventionen für das Gastgewerbe und die gesamte Tourismusbranche. Das kann geschehen, indem man uns analog der Exportwirtschaft einen Nullsatz bei der Mehrwertsteuer gewährt.
Als so oder so sinnvoll erachten wir eine temporäre Erhöhung der Mittel für Schweiz Tourismus. Der Marketingorganisation würde es so ermöglicht, neue Zielmärkte zu entwickeln und die Aktivitäten in den traditionellen Märkten auszubauen, damit die Zahl der europäischen und inländischen Touristen zumindest nicht weiter sinkt.
Die Lage ist sehr ernst, aber nicht hoffnungslos: Die Politik hat es in der Hand, das Ruder herumzuwerfen. Das geschieht nicht, indem wir in dieser schwierigen Zeit über Frauenquoten, eine Lohnpolizei und Plastiksackverbote diskutieren. Die Hochpreisinsel ist zu schleifen, denn sie ist der Hauptgrund dafür, dass unser Gastgewerbe international nicht mehr wettbewerbsfähig ist.
- Gastgewerbe vor einer gewaltigen Herausforderung
- Hohe Arbeitskosten im internationalen Vergleich
- Weshalb das bestehende Kartellgesetz nicht ausreicht
Dossiers: Agrarpolitik | Hochpreisinsel | Kartelle
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