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25.05.2016

Die Linse – ein Typ für den zweiten Blick

Das Aschenputtel unter den Hülsefrüchten

Die kleinste aller Hülsenfrüchte ist so etwas wie das Aschenputtel unter ihren Verwandten, den Bohnen, Erbsen und Lupinen dieser Welt.

Sie kommt meist in einem unauffälligen Braun daher, gedeiht am besten auf kargen, trockenen Böden und wächst trotz ihrer bescheidenen Grösse von maximal 50 Zentimetern selten wirklich aufrecht. Bei Regen und Wind geht sie schnell zu Boden. Deshalb gönnt man ihr beim Anbau auch meist eine stützende Kultur wie Hafer oder Gerste, an der sich die Linsenpflanze mit den Ranken am Ende ihrer feingegliederten Fiederblättchen festhalten kann.

Leider setzt sich die Bescheidenheit der Linse auch bei den Erträgen fort. Mit mehr als 200 bis 1000 Kilogramm pro Hektar kann man beim Anbau nicht rechnen, wohl aber mit sehr grossen jährlichen Ertragsschwankungen. Deshalb sieht man die zarten Linsenpflanzen auf deutschen Äckern auch nur höchst selten.

Doch wie im Märchen ist die bescheiden auftretende Linse eigentlich ein echter Star unter den Leguminosen. Denn ihren wahren Wert hat der Mensch schon vor über 9000 Jahren erkannt. Im heutigen Griechenland wurde sie zu dieser Zeit bereits gezielt angebaut, was sie zu einer der ältesten Kulturpflanzen überhaupt macht.

Und von wegen unauffälliges Braun, die Linse kann auch ganz anders. Es gibt sie in strahlendem rot, gelb oder grün, die schwarze Belugalinse sieht sogar edelstem Kaviar zum Verwechseln ähnlich. Allein in Indien, wo die Linse bereits seit Jahrtausenden hoch im Kurs steht, kann man aus über fünfzig verschiedenen Sorten auswählen.

Auch die inneren Werte des vermeintlichen Aschenputtels überzeugen. Mit einem Eiweissgehalt von bis zu 30 Prozent ist sie nach der Sojabohne der beste Proteinlieferant unter den Hülsenfrüchten. Zudem ist sie nahezu fettfrei und enthält stattdessen viele Ballaststoffe, die in Verbindung mit den ebenfalls reichlich enthaltenen Kohlenhydraten für eine angenehme, langanhaltende Sättigung sorgen.

Glaubt man kanadischen Studien, ist eine Linsenmahlzeit deshalb vor sportlichen Wettkämpfen sogar besser für die Ausdauerleistung als die üblicherweise empfohlenen Nudeln oder Kartoffeln.

Bleibt die Frage, ob man die Linse besser geschält oder ungeschält geniesst. Denn wie so oft stecken in der Schale die meisten Nährstoffe und vor allem der Geschmack, weshalb die kleineren Sorten mit hohem Schalenanteil oft aromatischer schmecken. Auf der anderen Seite sind geschälte Linsen leichter verdaulich. Das macht sie für Menschen mit empfindlicher Verdauung attraktiv.

Noch schwerer zu beantworten ist aber die Frage, wie man die Linse geniessen möchte: auf schwäbische Art mit Spätzle, scharf als indisches Dal oder türkisch pikant als Linsensuppe. Märchenhafte Geschmackserlebnisse sind auf jeden Fall nicht ausgeschlossen.

Jürgen Beckhoff / aid


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