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08.06.2018
Mehr Ethik und weniger Moral
Von der Political Correctness zur Nutritional Correctness
Der erste Schritt, machtvoll genommen in den 1980er Jahren, war die gesunde Ernährung. Darin angelegt war der nächste Schritt: die korrekte Ernährung.
Nicht wie Caesar an den Iden des März wurde Pierre Chambrin zum Opfer. Nicht im römischen Senat geschah die Tat, sondern im Weissen Haus, und nicht Messerstiche, sondern Federstriche fällten Chambrin, Kochkünstler aus Paris und von der Academie Culinaire de France für sein Lebenswerk ausgezeichnet: Am 3. März 1994 entschied Präsident Bill Clinton, Chambrin müsse seinen Platz als «Executive Chef» räumen – «geopfert auf dem Altar der ‹Nutrinional Correctness›», wie in der Folge zu lesen war.
Der Begriff von «Nutritional Correctness», leidlich zu übersetzen mit «korrekter Ernährung» und Pendant zur «Political Correctness», ist also nichts Neues: Festzumachen ist der Begriff schon vor Chambrins Rausschmiss aus dem Weissen Haus, und zwar ganz konkret am «Surgeon General’s Nutrition & Health Report» von 1988. Dabei handelte es sich um einen umfassenden Bericht der US-Regierung zu gesunder Ernährung im weitesten Sinn.
Gut eine Generation später sind die Forderungen von damals in allen entwickelten Gesellschaften angekommen. Der jüngste schweizerische Ausdruck davon ist das neue Lebensmittelgesetz. An dessen Umsetzung war unter dem Stichwort «Largo» auch das Gastgewerbe massgeblich beteiligt, und insgesamt ist die Branche mit den Resultaten einigermassen zufrieden.
Aber es geht weiter mit der korrekten Ernährung, und festzumachen ist das ebenfalls an einer aktuellen politischen Entscheidung in der Schweiz. Um den «schonenden Umgang mit Tieren» zu fördern, seien Panzerkrebse künftig vor dem Töten zu betäuben, teilte das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen Anfang Jahr mit: «Das in der Gastronomie übliche Eintauchen nicht betäubter Hummer in siedendes Wasser ist somit nicht länger zulässig.»
Das Verbot ist seit Anfang März in Kraft, und es dürfte das weitgehende Verschwinden des Hummers von den Speisekarten bedeuten. Nun hat der Hummer kein Gehirn, mithin fehlt das Organ, das nach Lage der Dinge Schmerzen und andere Regungen jenseits des Bewegungsapparates und des Vegetativen erfasst. «Nutritional Correctness» hat damit in doppelter Hinsicht eine grundsätzlich erweiterte Bedeutung angenommen.
Die neue «korrekte Ernährung» geht über den Menschen hinaus, der sich gesund ernähren soll und im Gesundheitsreport der US-Regierung von 1988 im Zentrum gestanden hatte. Ins Visier gerät vielmehr die Kreatur und ihre Regungen. Das Ziel ist nicht mehr nur die gesunde Ernährung, sondern auch jener «schonende Umgang mit Tieren», den die Eidgenossenschaft vorschreibt.
Die neue «korrekte Ernährung» stellt sich letztlich radikal gegen den traditionellen Umgang mit der Tatsache, dass Tiere töten muss, wer Fleisch essen will: Rituale, die seit Menschengedenken in allen Gesellschaften das Schlachten, Zubereiten und Verzehren von Tieren begleiteten, zählen nicht mehr. Mit der Industrialisierung haben sie sich in ähnlichem Mass verloren, wie die grundsätzliche Bewegung gegen das Töten von Tieren gewonnen hat.
Ein Ausdruck dieser erweiterten «Nutritional Correctness» ist der Veganismus: In der «Neuen Zürcher Zeitung» erschien der Begriff «Veganer» zwischen der Zeitungsgründung 1780 und dem Jahr 1994 nie – und seither über einhundert Mal. Die erste, in Anführungszeichen gepackte Erwähnung von 1994 lässt dabei tief blicken – bis zur aktuellen Entwicklung nämlich: «Die Haltung macht für ‹Veganer› keinen Unterschied, was einzig zählt, ist der Mord am Schluss des Tierlebens.»
Just in den 1980er Jahren sei es passiert, findet der Wiener Philosoph Robert Pfaller: ein plötzlicher Wandel des modernen Kulturverständnisses, «der uns unsere besten Genüsse zu unseren Ärgernissen werden liess». Wir hätten innerhalb kurzer Zeit verlernt, «dasjenige zu schätzen und zu würdigen, wofür es sich zu leben lohnt», führt er in seinem Buch «Wofür es sich zu leben lohnt» aus.
In seinem neuen Buch «Erwachsenensprache» erläutert Pfaller, was dagegen zu machen sei: wie Erwachsene miteinander zu sprechen und umzugehen. So wie unsere Urahnen, die mit grösstem Respekt dem Tier begegneten, das sie töteten, bewegt sich auch Pfaller nicht auf einer moralischen, sondern einer ethischen Ebene – in unserer Zeit massgeblich konstruiert von Friedrich Nietzsche und erläutert von Carl-Gustav Jung.
Pfaller warnt vor besinnungslosem Fundamentalismus nicht nur von Individuen und Gruppen, sondern auch seitens der Politik: «Wenn Regierungen ihre Bevölkerungen wie äusserst verletzliche Wesen, wie Kinder oder Haustiere behandeln, so werden diese Wesen massive Ressentiments gegeneinander entwickeln, und dann kann die Konsequenz wohl nur sein, dass man sie in Käfige steckt, die sie vor ihresgleichen schützen. Eine Gesellschaft aus Haustieren ist eine vollkommen repressive Gesellschaft.»
Peter Grunder / GastroJournal
Dossiers: Ernährung | Nachhaltigkeit
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