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26.04.2019

«Wenn man Menschen gerne hat, ist die Gastronomie toll»

Interview mit den Brüdern Frei von Tibits

Die Brüder Frei haben mit Tibits vegetarische Restaurants in der Schweiz salonfähig gemacht. Im Interview mit dem GastroJournal verraten CEO Daniel Frei und Mitbegründer Reto Frei ihre Pläne für die Zukunft und wie Restaurants mit Kundenwünschen umgehen sollten.

Tibits-Restaurants gibt es inzwischen an zehn verschiedenen Standorten in der Schweiz. Ist damit die ideale Grösse erreicht?

Reto Frei: Wir haben nie überlegt, welche Grösse ideal ist. Viel wichtiger ist, dass uns die Aufgabe Spass macht, dass wir ein gutes Team haben und die Gäste schätzen, was wir machen. Wir sind Quereinsteiger und haben uns unser Wissen bei der Arbeit angeeignet. Das hilft uns. Wir verkaufen nicht einfach nur Essen und Trinken. Unser Unternehmen ist auf vier Pfeilern aufgebaut: Lebensfreude, Fortschrittlichkeit, Vertrauen und Zeit. Das ist unsere Basis, die für ein stets brennendes Feu¬er sorgt. Diese Konstanz hilft uns, uns immer wieder neu zu motivieren.

Daniel Frei: Wir gehen dorthin, wo die Gäste Bedarf haben. Klar, es gab einmal einen Businessplan. Wir sagten uns, es wäre schön, in Zürich und in Basel vertreten zu sein. Eine Facebook-Gruppe forderte eine Filiale in Luzern, regelmässig erhielten wir E-Mails, weil Lausanne gewünscht wurde. Und deshalb sind wir heute sowohl in der Innerschweiz als auch im Waadtland präsent.

Welche Städte könnten für Tibits noch interessant sein?

Daniel Frei: Baden wird oft gewünscht, auch Chur, Zug, Biel und Thun. Wir erhalten aber auch Anfragen aus aller Welt, etwa für einen Standort in Dubai, in den USA oder in Luxemburg. Wir antworten, es sei nett, dass Tibits so begehrt wird, aber momentan sei nichts geplant. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Welcher Standort bringt am meisten Geld ein?

Reto Frei: Geld ist für uns nicht das Wichtigste. Wir möchten, dass die Gäste begeistert sind. Für uns ist es viel wichtiger, dass ein Standort gesamthaft viel Freude bereitet.

Daniel Frei: Genau. Ich wohne in St. Margrethen SG und bin in Rheineck aufgewachsen. Viele Gäste wünschten sich ein Tibits in der Ostschweiz. Via Facebook haben wir dazu aufgerufen, einen geeigneten Standort zu finden. Und so erhielten wir tatsächlich den entscheidenden Tipp und zogen in ein ehemaliges Bankgebäude ein, das 1907 gebaut wurde. Es verströmt sehr viel Charme, hat Seele und ist ein Kraftort. Das schönste Tibits steht also in St. Gallen! Doch jedes Tibits ist toll. Das ist wie bei Eltern mit mehreren Kindern. Man hat alle gleich gern.

Reto Frei: In Bern beispielsweise sind die Frequenzen sehr hoch. Früher waren vegetarische Restaurants irgendwo abseits in einer Seitengasse zu finden. Wir wollten uns in der Bundeshauptstadt an einer guten Lage positionieren und fanden sie mitten im Bahnhof. So geben wir dem vegetarischen Essen eine gewisse Selbstverständlichkeit. Ausserdem erstreckt sich das Restaurant nun über zwei Etagen, da viele Gäste ihr Bedürfnis nach mehr Platz signalisiert haben.

Genf ist die grösste Stadt ohne Tibits-Vertretung…

Daniel Frei: Wir erhalten viele Anfragen von dort. Wir würden auch gerne ein Restaurant in Genf eröffnen. Doch wir haben uns bewusst zuerst für Lausanne entschieden, wo wir erst am 7. Dezember 2018 eröffneten. So wie es aussieht, schätzt man uns in der Romandie.

Wie schwierig war der Sprung über den Röstigraben?

Reto Frei: Es ist nicht relevant, was wir denken, sondern wie uns die Romands sehen. In der Romandie isst man eher traditionell. Deshalb haben wir überlegt, lokale Gerichte anzubieten. Wir kreierten eine vegetarische Variante von Papet vaudois und arbeiten im Waadtland mit lokalen Lieferanten zusammen. Das Wein-Angebot in Lausanne ist breiter und tiefer als in der Deutschschweiz. Selbstverständlich führen wir in unserem Weinangebot auch einen Chasselas.

Daniel Frei: Wir wollten den Lausannern ihr Buffet de la Gare zurückgeben und haben möglichst viel so belassen, wie es war, aber mit einer modernisierten Küche. Anfangs war der Aufschrei sehr gross, weil ein vegetarisches Restaurant in einen solchen historischen Ort einzog. Doch dann wurden wir mit offenen Armen empfangen und sind gern in Lausanne. Die Romands haben viel Humor, aber auch ein ausgeprägtes Hierar¬chiedenken. Das ist für Tibits speziell, denn wir leben flache Hierarchien vor.

Weshalb haben Sie sich in Deutschland ausgerechnet für Darmstadt entschieden? Wegen des Ortsnamens oder weil Sie Fussballfan sind?

Reto Frei: Auf den ersten Blick ist der Ort unlogisch. Doch es hat seinen Grund: Wir wurden vom Alnatura-Gründer angefragt, ob wir nicht ein Tibits auf seinem neuen Campus betreiben möchten. Wir sagten erst ab. Aber er blieb hartnäckig, und so haben wir uns getroffen.

Daniel Frei: Wir stellten beim Treffen fest, dass Alnatura mit dem Slogan «Sinnvoll für Mensch und Erde» sehr ähnliche Werte wie Tibits lebt. Und wir wollten schon immer unsere Ideen aus der kleinen Schweiz in die Welt hinaustragen. In Darmstadt sind über 90 Prozent der Produkte biologisch. Wir können also von dort auch etwas für die Schweiz lernen.

Sie haben ja auch zwei Filialen in London. Wie unterscheiden sich die Kunden im In- und Ausland?

Daniel Frei: Die Gäste in Deutschland sind sehr dankbar und schätzen es, wie wir kochen und wie freundlich wir sind.

Reto Frei: Punkto Nachhaltigkeit ist Deutschland weiter. Wir erhalten dort wertvolle Inputs. Jedes Rähmli, das verpackt ist, sorgt für Kritik. In England ist man mit der Nachhaltigkeit noch nicht so weit. Aber die Nachfrage kommt langsam.

Daniel Frei: Und wegen des Brexits spüren wir unter den Engländern eine grosse Unsicherheit, sowohl bei den Gästen als auch bei den Angestellten. Viele Ausländer kehren jetzt schon in ihre Heimatländer zurück, weil sie nicht wissen, ob sie dort noch arbeiten dürfen und weil das Pfund schwächer geworden ist.

Reto Frei: Ja, in England ist die Mitarbeitersuche viel schwieriger geworden. Die Warenkosten sind wegen der schwächelnden Landeswährung sehr hoch. 2018 mussten namhafte Restaurants schliessen, denn die Kostenstruktur mit den hohen Mieten ist brutal. Das wirkt sich auch auf die Kunden aus. Weil die Wohnkosten so hoch sind, haben sie kaum Geld, um auswärts essen zu gehen. Wir lernen viel. Das hilft uns. Wir bleiben in Bewegung.

Wie gehen Sie ganz generell beim Angebot vor?

Reto Frei: Der Genuss muss im Vordergrund stehen.

Daniel Frei: Früher mussten wir noch mehr Überzeugungsarbeit leisten, weil es gegenüber dem vegetarischen Essen Vorurteile gab. Heute sind die Leute offener. Wir versuchen, unsere Gäste mit Nahrungsmitteln und Rezepten zu inspirieren, sodass sie diese zu Hause nachkochen wollen. Wichtig ist die Vielfalt am Buffet und bei den Getränken. Viele Gäste sagen, seit es Tibits gäbe, hätten sie wieder Freude am Essen. Gibt es ein schöneres Kompliment?

Wie beschaffen Sie die Produkte?

Reto Frei: Wir ziehen es vor, mit kleineren Lieferanten zu arbeiten. Wir kaufen nichts aus dem Katalog, und wir bestimmen, was auf den Tisch kommt. Deshalb brauchen wir flexible Lieferanten, egal ob es sich dabei um Glace oder Kichererbsen handelt.

Wie finden Sie die richtigen Produzenten?

Reto Frei: Teilweise kontaktieren uns diese, teilweise erhalten wir Inputs von Gästen, und selbstverständlich schauen wir uns auch immer im Markt um. Tofu stammt ausschliesslich aus Schweizer Sojabohnen, Kürbisse vom Biobauer.

Nächstes Jahr feiert Tibits den 20. Geburtstag. Die Restaurants sind gefüllt, die Kunden sehr zufrieden. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Daniel Frei: Unser Fundament mit den angesprochenen Werten. Als Mitgründer sind wir Vorbilder und leben diese Werte auch vor. Wir gründeten Tibits nicht einfach aus opportunistischen Gründen, sondern aus Überzeugung. Wir wollten etwas Sinnvolles für Mensch, Tier und Umwelt machen. Wir waren schon vor zwanzig Jahren Vegetarier und es gab kaum Restaurants, wo wir hingehen konnten. Wir wollten vegetarisches Essen salonfähig machen. Dabei haben wir sicher auch vom Zeitgeist profitiert: Kurz nach der Gründung kam es zum BSE-Skandal und zur Vogelgrippe. Die Konsumenten überlegten sich, weniger Fleisch zu essen. Ausserdem schätzen es unsere Gäste, dass wir keine starren Essenszeiten haben. Und wir wollen ein super Arbeitgeber sein, der Respekt und Wertschätzung vorlebt. Das heisst: In der Küche wird nicht geschrien. Wir gehen respektvoll miteinander um.

Reto Frei: Als Quereinsteiger waren wir über den Umgangston erstaunt. Wir wollten anders sein. Wir finden die Gastronomie eine tolle Branche. Das Führen eines Gastronomiebetriebs ist hochkomplex. Man muss Architekt sein, ein Auge fürs Detail haben, gut kochen und mit Menschen umgehen können.

Daniel Frei: Ich habe an der HSG in St. Gallen studiert. Als meine Studienkollegen von meinen Tibits-Plänen hörten, wurde ich belächelt. Viele davon ziehen heute aber den Hut vor dem, was wir machen.

Reto Frei: Wir wollen ein gutes Beispiel für die Branche sein. Wir haben grossen Respekt vor der Arbeit mit den Gästen. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe und nicht von oben herab. Ein Koch oder Servicemitarbeiter soll das, was er macht, mit Freude und Selbstbewusstsein machen.

Aber deren Löhne sind zu tief.

Reto Frei: Ja, das ist ein strukturelles Problem der Gastronomie.

Daniel Frei: Wir zollen jedem, der in der Gastronomie arbeitet und einen guten Job macht, grossen Respekt. Der Job ist streng. Aber es kommt von Gästen auch extrem viel zurück. Wenn man die Menschen gerne hat, ist die Gastronomie eine tolle Branche. Dabei muss man gerne dienen und Demut zeigen. Das heisst nicht unterwürfig sein, aber sich als Person zurücknehmen und den Gast in den Mittelpunkt stellen. Wir brauchen eine hohe Sozialkompetenz.

Welches Potenzial sehen Sie in der veganen Ernährung?

Daniel Frei: Vor zwanzig Jahren wurde ich als Vegetarier komisch angeschaut und musste mich erklären. Heute ist der Veganer der Vegetarier vor zwanzig Jahren. Vegan wird allerdings zu stark aufgebauscht. Wenn man eine Mineralwasserflasche mit vegan anschreibt, weil es sich besser verkauft, ist das falsch. Veganismus darf nicht zur Religion werden.

Reto Frei: Die Gäste wollen geniessen. Wir möchten dem mit neuen Geschmackskombinationen Rechnung tragen. Bei einem Radiesli kann man beispielsweise auch die Blätter essen, bei den Schwarzwurzeln die Schale. Die Vielfalt von Gemüse ist riesig. Federkohl haben wir vor Jahren wiederentdeckt. Damals wurde dieser bei den Grossverteilern nicht mehr verkauft.

Daniel Frei: Unsere Generation wird sich aus ökologischen Gründen gezwungen sehen, sich vermehrt vegetarisch und pflanzlich zu ernähren. Die Umweltbelastung durch die Fleischproduktion ist ganz einfach zu gross! Um alle Menschen ernähren können, müssen wir alle die Welt anders aufstellen.

Wie offen sind Sie gegenüber Insekten?

Daniel Frei: Ich weiss nicht, ob sich diese in unserem Kulturkreis wirklich erfolgreich verkaufen. Fleisch aus dem Reagenzglas hingegen ist für die Umwelt sicher besser als Fleisch von Tieren, die mit Antibiotika vollgepumpt wurden.

Bastien Girod, Nationalrat der Grünen, fordert in einer Interpellation, dass die auszubildenden Köche ihre Berufsprüfung auch ohne Fleisch und Fisch ablegen können. Was halten Sie davon?

Reto Frei: Es wäre schön, wenn die Branche schneller reagieren und so mithelfen würde, das zu ermöglichen. Vegetarier können heute eigentlich keine Kochlehre absolvieren. Ich wünsche mir, dass es weniger lange dauert, bis auch die Ausbildung sich dem Zeitgeist anpasst.

Zeitgeist ist das richtige Stichwort. Welche Tendenzen erkennen Sie bei den Gästen?

Reto Frei: Sie werden immer anspruchsvoller, Unverträglichkeiten und spezifische Wünsche nehmen zu. Damit müssen wir flexibel umgehen. Wichtig ist dabei die Deklaration der Produkte. Um dieses Thema kümmert sich bei uns eine Ernährungsspezialistin.

Daniel Frei: Es gibt einen Grund, weshalb die Unverträglichkeiten zunehmen. So wurde beispielsweise das Saatgut verändert und «hochgezüchtet». Wir versuchen deshalb, vermehrt tiefer in die Wertschöpfungskette zu gehen und Saatgut zu verwenden, das sauber und nicht manipuliert worden ist. Wir wollen also nicht nur sauber kochen, sondern auch einwandfreie Rohstoffe. Wir haben eigene Tibits-Rüebli und anderes Gemüse, wo wir wissen, dass das Saatgut stimmt.

Viele Restaurants speisen Vegetarier mit Spaghetti Napoli oder Ravioli mit Ricotta-Spinat-Füllung als einziger Option ab. Was empfehlen Sie Gastgebern, die ihr fleischloses Angebot erweitern möchten?

Daniel Frei: Einen vegetarischen Koch einzustellen! Einer der vegetarisch kochen kann, bereitet nicht nur Spaghetti zu. Für mich ist die vegetarische Küche vielfältiger als die Fleischküche und fördert die Kreativität. Es soll ja nicht das Fleisch im Zentrum stehen, sondern der ganze Teller. Vegetarisches ist keine Nebenrolle, sondern Teil des Kunstwerks.

Reto Frei: Mein Tipp: Der Gastgeber sollte das vegetarische Gericht nicht als ein Muss, sondern als Chance betrachten und es so anbieten, dass es auch ein Fleischesser wählen würde. Heute gibt es so viele Flexitarier. Deshalb muss man als Beizer das Denkmuster ändern.

Sie sind selbst Vegetarier. Wie ernähren Sie sich?

Daniel Frei: Ja, ich könnte kein Tier töten. Ich koche sehr gern und bin eher der Typ, der in den Kühlschrank guckt und dann etwas zubereitet. Und ich lasse mich von Rezepten inspirieren. Mit meiner Frau zu kochen, ist für mich Entspannung. Dazu ein feines Glas Prosecco oder Wein ist wunderbar. Allerding ernähre ich mich nicht so optimal, denn mittags esse ich oft wenig. Meine Hauptmahlzeit esse ich dann am Abend.

Reto Frei: Ich experimentiere gerne zuhause, wo wir Gemüse anbauen. Beim Broccoli etwa esse ich gerne auch die Blätter. Ich koche vegetarisch. Unser Sohn ernährt sich jedoch nicht nur pflanzlich. Er soll selbst entscheiden, wie er sich einst ernähren möchte.

Bei Ihnen steht unter Hobbys «fein essen gehen». Was verstehen Sie darunter?

Reto Frei: Das Essen muss nicht kompliziert sein. Wo ich wohne, führen zwei Junge eine Pizzeria. Sie bereiten alles frisch zu und sind kreativ, die Inneneinrichtung ist improvisiert. Fein essen heisst für mich nicht zwingend ein Restaurant mit weissem Tischtuch, aber ehrliche und einfach Küche mit qualitativ guten Rohstoffen.

Interview: Reto Wild / GastroJournal

Ein Familienbetrieb mit mehr als 500 Angestellten
Tibits wurde im Jahr 2000 gegründet und ist ein Familienbetrieb, der je zu 50 Prozent der Familie Hiltl mit Mitgründer und Verwaltungsrat Rolf Hiltl sowie Reto (44), Daniel (49) und Christian (56) Frei gehört. Ihr vierter Bruder Andreas (57) arbeitet ebenfalls im Familienbetrieb mit. Inzwischen gibt es die vegetarischen Restaurants an zehn Orten in der Schweiz sowie zweimal in London und einmal im deutschen Darmstadt. Für Tibits arbeiten über 500 Angestellte. CEO ist Daniel Frei, Finanzen & IT sind bei Bruder Andreas angesiedelt, Mitgründer Reto verantwortet F&B, Marketing und Christian Frei das Design.

Bild: tibits.ch


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