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06.10.2021

«Eine Grundvoraussetzung für wirksamen Wettbewerb»

Roger Zächs Kampf für die Beschaffungsfreiheit

Der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments zur Fair-Preis-Initiative erfüllt die Forderungen der Initiative fast vollständig. Sehr grossen Anteil an diesem Erfolg hatte Prof. Dr. Roger Zäch, der die Initianten juristisch beriet.

Roger Zäch ist eine Koryphäe des Kartellrechts. Der 82-jährige habilitierte beim späteren Bundesrat Arnold Koller und Prof. Dr. Hans Merz, Universität Bern, für schweizerisches und europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht. Im Anschluss lehrte er als ausserordentlicher, ab 1979 als ordentlicher Professor an der Hochschule St. Gallen. Zudem war er dort von 1980 bis 1984 Dekan der juristischen Abteilung. Von 1989 bis 2006 lehrte er als Ordinarius für Privat-, Wirtschafts- und Europarecht an der Universität Zürich. Zäch war ab 1986 Mitglied der Kartellkommission und von 1996 bis 2007 Vizepräsident der Wettbewerbskommission.

Herr Prof. Zäch, weshalb kosten viele Produkte in der Schweiz sehr viel mehr als im Ausland?

Ein Teil der höheren Preise kann durch höhere Kosten hierzulande erklärt werden, ein Teil aber eben nicht. Internationale Konzerne insbesondere schöpfen die Kaufkraft gezielt ab und halten die Preise künstlich hoch. Diese «Schweiz-Zuschläge» führen dazu, dass viele KMU weniger wettbewerbsfähig sind, weil ihre Produktionskosten zu hoch sind.

Wird der Gegenvorschlag zur Fair-Preis-Initiative dafür sorgen, dass missbräuchliche Schweiz-Zuschläge endlich unterbunden werden?

Nachfrager, die von einem bestimmten Produkt abhängig sind, weil sie das nicht andernorts beschaffen können, erhalten nun endlich Beschaffungsfreiheit. Die beschlossenen Gesetzesänderungen werden dafür sorgen, dass viele Unternehmen ihr Verhalten von sich aus ändern, weil sie nicht mehr davon ausgehen können, vom Kartellgesetz nicht erfasst zu werden. Nachfrager aus der Schweiz können künftig nicht mehr so einfach diskriminiert werden, nur weil sie aus der Schweiz kommen.

Können wir nun verlangen, dass heimische Unternehmen ihre Produkte zu den gleichen Preisen verkaufen wie beispielsweise in Portugal?

Nein. Jedes Unternehmen bleibt in seiner Preisgestaltung frei. Es muss sich jedoch dem Wettbewerb stellen. KMU oder die öffentliche Hand können Produkte, auf die sie angewiesen sind, neu auch in Portugal einkaufen, wenn sie das möchten – zu Preisen, die die Anbieter dort selbst unter Wettbewerbsbedingungen festgelegt haben.

Können die neuen Gesetzesbestimmungen im Ausland durchgesetzt werden?

Es mag Fälle geben, in denen eine Durchsetzung im Ausland schwierig ist. Gerade in wichtigen Fällen wird aber die Verhandlungsposition der Nachfrager aus der Schweiz gestärkt. Die Wettbewerbskommission kann jetzt schon gegen Unternehmen im Ausland vorgehen. Das zeigen die Fälle Elmex, Nikon oder BMW.

Und wenn das Ausland einfach nicht mitmacht?

In der Schweiz wie in der EU und vielen anderen Staaten gilt für das Kartellrecht das Auswirkungsprinzip. Das Kartellgesetz ist auf Sachverhalte anwendbar, die sich bei uns auswirken, auch wenn sie im Ausland veranlasst werden. Fast alle Länder in Europa haben überdies das sogenannte Lugano-Übereinkommen unterzeichnet, das sie verpflichtet, rechtskräftige schweizerische Urteile zu vollstrecken. Zudem wären Schadenersatzansprüche oder Bussen über Arrestlegungen durchsetzbar, wenn das behindernde Unternehmen Vermögenswerte in der Schweiz hat, etwa Forderungen aus Warenlieferungen.

Wird es nun eine Verfahrensflut geben?

Die meisten Unternehmen werden ihr Verhalten von vornherein anpassen, wenn sie nicht mehr damit rechnen können, vom Kartellgesetz gar nicht erfasst zu werden. Es braucht aber sicherlich noch ein paar Leitentscheide der Weko und/oder von Zivilgerichten.

Wird es mehr Parallelimporte geben?

Parallelimporte konnten schon bisher von den Herstellern nicht unterbunden verboten. Bisher funktionieren sie aber leider überall dort nicht, wo die Hersteller den ganzen Vertrieb kontrollieren, den Graumarkt dadurch klein halten und die Nachfrage zwingen, ihre Produkte in der Schweiz zum diktierten Preis abzunehmen. Diese unbefriedigende Situation wird sich stark verbessern.

Hätte es nicht genügt, die technischen Handelshemmnisse abzubauen?

Der Abbau staatlicher Hürden ist wichtig. Doch er nützt nichts, solange die Konzerne im Ausland Nachfragern aus der Schweiz gar keine Waren verkaufen und so ihr Vertriebssystem vor Wettbewerb schützen. Wer nichts zu verzollen hat, dem nützen vereinfachte Zollvorschriften nichts.

Wieso war das Kartellgesetz bisher nicht ausreichend?

In der Praxis ist es oft nicht möglich, Abreden oder Marktbeherrschung zu beweisen. Um Kartellrenten zu verhindern, braucht es die neuen Bestimmungen, welche die Weko zwingen, in wesentlich mehr Fällen als heute von einer Marktbeherrschung auszugehen und entsprechende Tatbestände zu unterbinden.

Die Gegner der neuen Bestimmungen behaupten, dass Jobs in der Schweiz gefährdet werden.

Arbeitsplätze gehen doch vor allem verloren, weil Betriebe ihre Produktion ins Ausland verlagern und weil standortgebundene Unternehmen, wie Hotels und Restaurants, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Verschwinden die ungerechtfertigten Schweiz-Zuschläge, so steigt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Das sichert und schafft Arbeitsplätze!

Wenn jetzt alle im Ausland beschaffen, leiden Anbieter in der Schweiz.

Wenn der Einkauf von Waren im Ausland nicht mehr behindert werden kann, werden auch die Preise von Vertretungen und Alleinimporteuren in der Schweiz sinken, so dass es wieder attraktiv wird, die gewünschten Waren in der Schweiz zu beziehen. Dafür gibt es einen empirischen Beweis: Seit man seit 1995 Autos direkt im EWR einkaufen kann, sind die Autopreise ohne «Swiss Finish» auf etwa EWR-Niveau.

Das Konzept der relativen Marktmacht wurde nicht nur von der Gewerkschaftslinken, sondern auch von wirtschaftsliberalen Kräften bekämpft. Wie liberal sind die neuen kartellrechtlichen Regelungen?

Es geht nicht um ein Menschenrecht auf das günstigste Produkt, sondern um das Recht der Nachfrager, ohne Diskriminierung nach Wohnort oder Nationalität dort einzukaufen, wo sie wollen. Diese Grundvoraussetzung für wirksamen Wettbewerb wurde beispielsweise schon 1859 von John Stuart Mills, einem der einflussreichsten Denker des Liberalismus, in seinem Werk «On Liberty» beschrieben. Eine echt liberale Politik beseitigt staatliche Handelshemmnisse und unterbindet Wettbewerbsbeschränkungen durch private Unternehmen.

Was ist mit der Vertragsfreiheit?

Zwar braucht die Wirtschaftsfreiheit die Vertragsfreiheit. Letztere ist aber zum Schutz der Wirtschaftsfreiheit dann einzuschränken, wenn damit andere Unternehmen in der Aufnahme oder Ausübung des Wettbewerbs behindert werden.

Verschwindet jetzt die Hochpreisinsel?

Die beschlossenen Präzisierungen im Kartellgesetz sind ein wichtiger Beitrag im Kampf gegen die Hochkosteninsel Schweiz. Aber es gibt keine Allheilmittel. Vergessen wir nicht, dass manche Preise in der Schweiz hoch sind, weil es politisch so gewollt ist. Bei Agrarprodukten haben wir Schutzzölle und Importkontingente. Und die Medikamentenpreise werden staatlich festgelegt.

Eines aber ist sicher: Unternehmen in der Schweiz können nicht gerechtfertigte «Schweiz-Zuschläge» vermeiden, dadurch sinken ihre Produktionskosten, dadurch werden sie wettbewerbsfähiger und stärker. Das ist das eigentliche Ziel der Revision. Das dürfte auch Arbeitsplätze sichern. Dafür lohnte sich der Einsatz.

Werden Lebensmittel also teuer bleiben?

Fleisch und andere Lebensmittel werden wohl erst günstiger, wenn weitere Sektoren des Agrarmarkts liberalisiert werden. Die Preise gewisser Markenprodukte geraten aber durch Parallelimporte unter Druck.

Und im Gesundheitswesen?

Bisher fehlt auch dort eine umfassende Beschaffungsfreiheit, und die ungerechtfertigt hohen Importkosten schlagen sich in den Gesundheitskosten nieder. Wenn jetzt medizinische Verbrauchsgüter und Geräte direkt im Ausland beschafft werden können, lässt sich viel einsparen. In einer umfassenden Preisvergleichsanalyse und unter Einbezug einer Studie des Kantonsspitals Winterthur errechnete die Fachhochschule Nordwestschweiz für den Spitalbereich ein Sparpotenzial von jährlich 480 bis 600 Millionen Franken. Auch bei Generika werden die neuen Bestimmungen anwendbar sein.

Wie wird der einfache Bürger sonst noch profitieren?

Da auch die öffentliche Hand von missbräuchlichen Schweiz-Zuschlägen betroffen ist, werden wir alle als Steuer- und Prämienzahler profitieren. Auch die Stärkung des Produktionsstandorts Schweiz ist in unserem aller Interesse. Und schliesslich enthält der Gegenvorschlag auch ein Geoblocking-Verbot, von dem die Konsumenten stark profitieren werden – aber auch KMU, für die die Online-Beschaffung immer wichtiger wird.

Wie geht es jetzt weiter?

Wichtig ist, dass Unternehmen, insbesondere KMU, jetzt die neuen Möglichkeiten nutzen. Als erstes müssten sie von ihren bisherigen Lieferanten in der Schweiz oder im Ausland Preisreduktionen verlangen, und zwar unter Hinweis auf die neue Rechtslage ab 1. Januar 2022. In vielen Fällen dürfte bei Lieferung in der Schweiz ein Zuschlag von 5 bis 10 Prozent gerechtfertigt sein. Die Weko oder die Gerichte sollten erst nach Rücksprache mit ihren Verbänden eingeschaltet werden.

Prof. Dr. Roger Zäch

Prof. Roger Zäch kann als Hauptautor des Initiativtexts der Fair-Preis-Initiative bezeichnet werden. Er war sich nicht zu schade, bei der Unterschriftensammlung mitzuhelfen.


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