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19.10.2023

Widersprüche auf dem Schweizer Arbeitsmarkt

Mehr Ansprüche, weniger Leistungsbereitschaft

Die Personalberatungsfirma von Rundstedt hat zusammen mit der Zeitschrift «HR Today» eine Arbeitsmarktstudie durchgeführt. Dabei zeigten sich Phänomene, die offensichtlich widersprüchlich sind.

Die Studie stützt sich auf eine ausführliche Umfrage, an der 1907 HR-Manager und Führungskräfte in der ganzen Schweiz teilgenommen haben. Die Ergebnisse liegen differenziert nach Branchen, Regionen und Unternehmensgrössen vor. Acht Phänomene standen im Mittelpunkt der Studie.

Polarisierung zwischen Gewinnern und Verlierern. Die einen sind gefragt, die andern werden abgewiesen. Die Parallelität von Fachkräftemangel und struktureller Arbeitslosigkeit spitzt sich zu. Zustimmung in der Umfrage: 63%

Keine Lust auf Arbeit und trotzdem Burn-out. Mehr Menschen arbeiten weniger, und wenige Menschen arbeiten mehr. Der Selbstverwirklichung der einen findet somit auf Kosten der anderen statt. Zustimmung in der Umfrage: 67%

Wachstumsspirale ohne Ende. Wachstum provoziert Fachkräftemangel und weitere Arbeitsimmigration, welche das quantitative Wachstum weiter antreibt. Diese Spirale bringt uns qualitativ nicht weiter. Zustimmung in der Umfrage: 67%

Produktivitätsdilemma des Fachkräftemangels. Mehr Ansprüche der Arbeitnehmer, aber weniger Leistungsbereitschaft. So geht die Arbeitsproduktivität in der Schweiz flöten. Zustimmung in der Umfrage: 61%

Branchenkult. Die digitale Transformation erfordert eigentlich ein hohes Mass an Flexibilität und Mobilität zwischen Berufsprofilen und Branchen. Quereinsteiger haben es aber nach wie vor schwer. Arbeitgeber zeigen einen starken Branchenglaube. Zustimmung in der Umfrage: 70%

Purpose und Individualität. Alle suchen Purpose. Es geht den meisten Menschen dabei aber nicht um Nachhaltigkeit, sondern um Selbstzweck und Selbstverwirklichung. Zustimmung in der Umfrage: 73%

Möchtegern-Unternehmer. Unsere Hypothese war, dass viele Jungunternehmer heute keine langfristige Strategie verfolgen und es ihnen primär nicht um den gesellschaftlichen Beitrag, sondern um Selbstverwirklichung und finanzielle Interessen geht. Zustimmung in der Umfrage: 46%

Altersdilemma. Die Alten sollen über das Pensionsalter hinaus arbeiten, um den demografischen Engpass und den Fachkräftemangel zu lindern. Nur will sie keiner einstellen. Zustimmung in der Umfrage: 71%

Mit Ausnahme der Möchtegern-Unternehmer sind alle Phänomene von einer klaren Mehrheit bestätigt worden. Bei der Frage nach dem Handlungsbedarf sehen die HR-Manager und Führungskräfte beim Arbeitsdilemma, bei der Polarisierung und bei Arbeitslust und Burn-out die höchste Dringlichkeit.

Ausserdem hat die Umfrage ein paar weitere überraschende Erkenntnisse hervorgebracht:

Risikogruppen und Schwächere werden von Arbeitgebern kaum gefördert. 82% der Firmen verfügen über keinerlei Rekrutierungs- oder Integrationsprogramme für Risikogruppen wie z.B. Ältere Arbeitskräfte 60+, IV-Teilbezüger oder Frauen nach längerer Mutterschaft. Auch in der Personalentwicklung legt man den Fokus auf die Leistungs- und Potenzialträger.

Das Gesundheitswesen und die öffentliche Verwaltung als Teilzeit-Champions. Bei der Teilzeitarbeit gibt es grosse Unterschiede zwischen den Branchen. Am meisten Teilzeitbeschäftigungen finden wir im Gesundheitswesen (38.7% Teilzeitarbeiter) und in der öffentlichen Verwaltung (38.4%). Das Schlusslicht ist die industrielle Produktion mit nur 12.9% Teilzeitarbeitern.

Stressbelastung und Druck als «Courant Normal». Trotz Teilzeittrend wächst die Stressbelastung an. Im Durchschnitt sind 28% der Mitarbeiter dauerhaft überbelastet. Bei 34% der Firmen befinden sich über einen Drittel der Mitarbeiter im «roten Bereich» und unter Stress. Aber nur 37% der Arbeitgeber kümmern sich gezielt darum.

Quantitatives Wachstum macht uns nicht besser und glücklicher. Für 67% der Befragten wirkt sich quantitatives Wachstum wie Mitarbeiter-, Absatz- und Gewinnwachstum nicht positiv auf die Arbeitsumstände und die Zufriedenheit der Mitarbeiter aus.

Branchenkult in der Schweiz – eines Innovationsstandorts unwürdig. Eine Mehrheit glaubt, dass brancheninterne Bewerber kurzfristig (74%) und sogar langfristig (61%) mehr Wert für das Unternehmen generieren als Quereinsteiger. 67% der Arbeitgeber verlangen bei der Rekrutierung zwingend Branchenerfahrung (als Musskriterium). Nur 32% der Firmen verfügen über gezielte Massnahmen zur Rekrutierung und Branchenausbildung von Quereinsteigern.

Länger arbeiten findet wenig Anklang. Trotz Forderungen von Wissenschaft, Politik und Arbeitgebervertreter finden nur 44% der Befragten gut und richtig, dass über das Pensionsalter hinaus gearbeitet werden soll. Nur 25% der Firmen bieten dazu konkrete Programme an.

Altersnachteile auf dem Arbeitsmarkt sind Realität. Eine Mehrheit von 56% sieht die Schwierigkeiten bereits ab 50 Jahren, weitere 27% erst ab 60 Jahren. Das zeigt klar auf, dass Arbeitgeber trotz dem Druck auf dem Arbeitsmarkt sich schwer tun, auf ältere Arbeitskräfte zu setzen.

Grafik: rundstedt.ch


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